Zu Beginn dieser Woche erlebt die kleine Schweiz viel Spektakel. Geboten werden 400 Veranstaltungen, das höchste Drohnen-Rennen der Welt in St. Moritz, Auftritte des schwedischen Industriellen Marcus Wallenberg und der serbischen Ministerpräsidentin Ana Brnabic sowie etliche Online-Lernformate.
Die Eidgenossen sollen in drei „Digitaltagen“ auf die neue Welt der Algorithmen, Apps und Videos eingestimmt werden. Politik, Medien und Wirtschaft machen mit. Höhepunkt des Events der Standortinitiative „Digital Switzerland“ ist eine internationale Kooperation. Die Schweizer Aktionstage, bereits zum vierten Mal veranstaltet, sollen künftig parallel in Österreich, Schweden, Polen, Serbien und der Ukraine laufen.
Daraus werde eine „europäische Bewegung“, sagt Initiator Marc Walder, 55, CEO des Züricher Medienhauses Ringier, „darauf sind wir stolz“. Es gehe um die Bürgerschaft, um Kinder, Eltern, Lehrerinnen, Erzieherinnen.
Der Marketing- und Pädagogik-Clou ist Walders patriotische Heldentat. Der einstige Tennisprofi und Journalist ist einer der profiliertesten Künder der Medienindustrie vom elektronischen Wandel geworden, ein gut vernetzter „digitaler Apostel“, der den Kontinent einschwört auf den globalen Wettbewerb. Europa müsse sich „zwischen den USA und China behaupten“, sagt der „Digital Economy Ambassador“ seines Landes.
Auch im eigenen Geschäft muss sich der Botschafter gegen die US-Internetgiganten, die er durch Corona begünstigt sieht, behaupten. „Es fließen noch mehr Werbegelder zu Google und Facebook, am schnellsten aber wächst Amazon.“ Hier sei jeder Klick ein Klick Richtung Kaufentscheidung, konkreter gehe es nicht für die Werbeindustrie, die dort eifrig schaltet. Das sei „Gold wert“, Amazon sei „werbetechnisch eine Bonanza“.
Für die Ringier AG, die 2019 mit 7100 Mitarbeitern knapp eine Milliarde Schweizer Franken umsetzte, erhöht sich der Problemdruck. Einst hatten akquirierte Online-Marktplätze Prosperität gesichert, nun aber ist – bedingt durch die Pandemie – der für 2020 geplante Betriebsgewinn von 120 Millionen nicht zu halten.
„Wenn wir bei der Hälfte landen, bin ich schon zufrieden“, sagt Walder, „es knirscht gewaltig.“ Er sieht einen „Überlebenskampf, selbst für diversifizierte Unternehmen wie uns“, man plane „auf der Basis eines Worst-Case-Szenarios“. Sparaktionen und der Abbau mehrerer Hundert Jobs können den Rückgang nur dämpfen, das kollabierte Veranstaltungs- und Werbegeschäft hinterlässt Spuren.
Digitalallianz im Survival-Kampf
In diesem Survival-Kampf basteln die Schweizer Verlage intensiv an einer Digitalallianz, die von Nutzern 2021 generell verlangt, sich vor dem Onlinelesen einzuloggen. „Ohne Log-in kein Journalismus“, verkündet Walder. Er spricht von „First Party Data“, die immer wichtiger sei, da Cookies in zwei Jahren gesetzlich geblockt würden. Dann sei man „nahezu im Blindflug“.
Intern setzt Marc Walder digitale Wundermittel für Journalismus ein. So etwa bei „Equal Voice“, einer Eigeninitiative für mehr Gleichberechtigung. Ringier entwickelte hierfür eine Software. Sie zählt mithilfe eines semantischen Algorithmus auf den digitalen Plattformen, wie viele Frauen vorkommen.
Beim Newsblatt „Blick“, wo Walder manchmal Leitartikel schreibt, stieg ihr Anteil in den Texten von 28,5 auf 30 Prozent, in der „Handelszeitung“ von 16,7 auf 24,7 Prozent. „Es freut uns sehr, wie Equal Voice in unseren Redaktionen gelebt wird“, jubelt Finanzchefin Annabella Bassler, „hier bleiben wir am Ball.“
„Was wir messen, können wir reflektieren“, lobt CEO Walder. Es gebe „etliche Bereiche mit einer unnötigen und nicht erklärbaren Unterrepräsentation von Frauen“. Der publizierte „Equal-Voice-Factor“ löse „in der Medienwelt und der Bevölkerung etwas aus“. Das Interesse an dieser Software sei in ganz Europa groß.
Andererseits betont der Ex-Chefredakteur der „Schweizer Illustrierten“, dass journalistische Entscheider unabhängig bleiben müssten. Deshalb gebe es keine Vorgaben und Boni. Equal Voice motiviere und sensibilisiere nur, auch über ein prominentes Advisory Board. Die analytische Herangehensweise rund um Daten im Journalismus verstärke sich.Walders Stärke ist die Kommunikation. Er ist mit allen gesprächsfähig, egal an welchem Ort und mit wem. So ist er Verwaltungsrat der Techfirma Sportradar aus St. Gallen, die an die Börse will. Und die Ringier AG zog es im digitalen Drang selbst nach Afrika. Die eigene News-Marke „Pulse“ ist in Ghana, Kenia, Nigeria und Senegal mit 100 Millionen aktiven Nutzern Marktführer.
„Inspirationsreisen“ in die USA
Der Digital-Apostel hatte in einem 15-Wochen-Managementkurs an der Universität Harvard sein Erweckungserlebnis. Er habe von dort „eine fast schon zur Obsession verdichtete Gewissheit“ mitgebracht, dass der Konzern „sofort digital transformiert“ werden müsse, schreibt Ex-„Blick“-Chefredakteur René Lüchinger in seinem Buch „Ringen um Ringier“.
Immer wieder zieht es Walder denn auch in die USA. Nach einer dieser „Inspirationsreisen“ beschloss Markus Hongler, CEO der Schweizer Versicherungsfirma Mobiliar, mit 25 Prozent ins digitalisierte Familienunternehmen Ringier einzusteigen: „So können wir uns einen Vorteil im Markt erwirtschaften.“
70 Prozent des Kaufpreises von mehreren Hundert Millionen stützen seither die Bilanz. Der Rest ging an die Aktionäre, auch an Walder. „Neues Kapital macht stark“, sagt der CEO, der zehn Prozent der Anteile gekauft hatte.
Eine Folge des Mobiliar-Deals ist, dass er nicht wie geplant bald Patron Ringier, 71, als Verwaltungsratschef ablöst. Walder: „Da haben wir uns gesagt, dass Ringier das Präsidium noch ein paar Jahre länger leitet als ursprünglich gedacht.“ Der Chairman sei „physisch und gedanklich fit wie eh und je“.
So umtriebig Walder ist, alles gelingt nicht. So sann er im Kampf gegen Google und Co. auf einen mächtigen Bund mit dem Konzern Swisscom und der öffentlich-rechtlichen SRG (Schweizer Radio- und Fernsehgesellschaft) im Werbemarkt. Doch der Bund flog nicht, und Ringier vermarktet als Sologesellschafter neben Hausware wie dem neuen „Blick-TV“ immerhin die SRG-Werbeplätze.
Ohne das Bündeln von Kräften geht es nicht in der digitalen Zeit, weiß Walder, und so ist er inzwischen wieder beim Verband Schweizer Medien dabei, 2015 war man im Streit um Admeira gegangen.
Und: Walder wirbt bei Digitalministerin Dorothee Bär, dass Deutschland seiner Initiative der „Digitaltage“ bald beitrete. Auf einem Index für digitale Wettbewerbsstärke der Hochschule IMD sei die Schweiz Sechster, die Bundesrepublik aber nur 18. „Das muss einer Wirtschaftsmacht zu denken geben.“