Schweizer Journalist

| 27.02.19 | Von Kurt W. Zimmermann

«Journalismus ist eine riskante Karte»

Es ist die erstaunlichste Karriere, die je einem Journalisten in einem Schweizer Verlag gelang. Marc Walder begann als Sport-Volontär beim «Blick», wurde Chefredaktor der «Schweizer Illustrierten», schliesslich CEO von Ringier und, als grösster Coup, gar Mitbesitzer des Familienunternehmens. Ein Gespräch darüber, wie viel vom früheren Journalisten Walder heute noch geblieben ist. Titel.

Schweizer Journalist: Marc Walder, wissen Sie noch, worüber Sie am 20. Oktober 1992 Ihren ersten Artikel im «Blick» geschrieben haben?

Marc Walder: Das weiss ich nicht mehr. Sie?

Es war über das Ende des nationalen Tennis-Zentrums in Ecublens…

…wusste ich nicht mehr. Sie haben – für einmal – gut recherchiert…

Die ersten zwei Monate lang haben Sie dann beim «Blick» nur über Tennis geschrieben. Sie hatten keinen besonders breiten Horizont.​

Nun, ich war bereits froh, dass ich als Volontär überhaupt schreiben durfte. Ich habe damals 650 Franken pro Monat verdient. Und die ersten Wochen liess man mich Fotokopien erstellen, die Nachrichtenbänder der Schweizer Sportinformation abreissen und aufhängen und die Seitenpläne der jeweiligen Ausgabe verteilen.

Nochmals etwas Retrospektive. Was war Ihre beste Geschichte, die Sie für die Blick-Gruppe oder später die «Schweizer Illustrierte» je geschrieben haben?​

Schwierige Frage. Da waren einige Dinge, die einiges bewegten. Ein Thema bleibt mir recht präsent, weil es ganz am Anfang war und die Dimension gross für einen jungen Journalisten. Ich begleitete damals das ganze Drama um die Schliessung des offenen Drogenumschlag-Platzes Letten in Zürich, über viele Wochen lang. Das war Ende 1991 und Anfang 1992. Tausende von Fixem, in einem quasi rechtsfreien Raum. Mitten in Zürich. Das war auch eine Art Lebensschule für mich. Meine Zeit als Journalist war – ganz ehrlich – phantastisch. Es war lehrreich, erfüllend, herausfordernd, extrem breit.

Wir fragen darum, weil wir wissen möchten: Wie viel vom damaligen jungen und enthusiastischen Journalisten Marc Walder steckt heute noch im Ringier – CEO und Ringier- Mitbesitzer Marc Walder?​

Hmmm … ich würde sagen: viel. Ich lese immer noch viel, wenn auch meist quer und via alle möglichen Kanäle – Print, Digital, E-Paper, Facebook-Newsfeed, Twitter – und stets unter dem Aspekt: «Wie bereitet wer was genau auf? Und wie setzt wer was um?»

Ein guter Freund von Ihnen hat mir mal gesagt: Der Walder bedauert es bis heute zutiefst, dass er nie Chefredaktor des «Blicks» war.

Mag sein. Ich durfte die Sportredaktion der Blick-Gruppe führen, die «Schweizer Illustrierte», den «SonntagsBlick» – aber nie den «Blick», die Tageszeitung. Hätte ich zweifellos gerne gemacht. Das ist und bleibt die vielleicht grösste journalistische Herausforderung in der Schweiz. 

Inzwischen allerdings ist Journalismus in Ihrem Haus nur noch ein eher nebensächliches Hobby.​

Sehe ich überhaupt nicht so.

Sie haben anfangs 2017 einen Satz gesagt, der auch international für enormes Aufsehen sorgte. Sie sagten, etwas verkürzt: «Wenn wir vom Journalismus leben müssten, könnte ich nicht mehr ruhig schlafen.» Würden Sie das heute noch wiederholen?​

Ist etwas verkürzt, aber in der Substanz richtig. Konkret: Wenn ein Verlag 2019 zu mehr als, sagen wir, 60 Prozent von Journalismus lebt, dann wird es eng für das Unternehmen Ringier war ein Verlag. 175 Jahre lang. Fünf Generationen lang. Heute sind wir ein diversifiziertes, digitalisiertes Medienunternehmen in knapp 20 Ländern. Ähnlich wie Axel Springer oder Schibsted, beides international Vorbilder für eine gelungene Transformation. Journalismus ist nach wie vor wichtig für Ringier. Das ist keine Floskel. Wenn auch betriebswirtschaftlich anderes heute relevanter ist. 

Man hat Sie nach Ihrem Satz als Totengräber des Journalismus bezeichnet.​

Vielleicht irgendwo auf Social Media. Mag sein. Michael Ringier hat mal, vor vielen, vielen Jahren gesagt:  «Das Internet ist an gewissen Stellen die Klowand der Gesellschaft.» Kluge Aussage …

… dennoch: Totengräber des Journalismus​.

Wenn Sie ein doch recht grosses Medienunternehmen wie Ringier in die Zukunft führen sollen, dann bringt es nichts, wenn Sie lapidar sagen: «Irgendwie finden wir dann schon raus, wie Journalismus in Zukunft finanziert werden wird.»

Alle suchen nach Rezepten, nicht sehr erfolgreich bisher.

Bis heute stehen zwei Dinge fest. Erstens: Mit Zeitungen und Zeitschriften und Druckereien verdienen Sie jedes Jahr weniger Geld. Ganz, ganz wenige Ausnahmen ausgeklammert. Zweitens: Mit den digitalen Kanälen haben es bis heute nur wenige geschafft, Journalismus nachhaltig zu monetarisieren. Im Print wird das Geld also weniger -und digital fliesst das Werbegeld mehrheitlich zu Google und Facebook. Und neuerdings auch zu Amazon.

Ist Journalismus für einen Verlag noch eine Geschäftsgrundlage?​

Keine sichere mehr, wenn Sie das auf einer mittelfristigen Zeitachse anschauen. Keine, die es Ihnen erlaubt, nicht zu diversifizieren. Wer nur auf Journalismus setzt, setzt alles auf eine – unsichere – Karte. Ja, Journalismus ist eine riskante Karte.

Und, wie gut schlafen Sie inzwischen?

Gut. Ringier macht dieses Jahr 71 Prozent seines operativen Gewinnes mit digitalen Geschäftsmodellen. Vieles davon hat nichts mehr mit Journalismus zu tun. Das wiederum erlaubt uns aber auch, jedes Jahr rund 100 Millionen zu investieren. Viel davon übrigens in Journalismus. In Video, in Technologie und Daten-Analytik. Digitaler Journalismus ist teuer. Teurer als auf Papier. Das zeigen unsere Vergleiche.

Sie haben keine Probleme, Zeitungen und Zeitschriften einzustellen. Zuletzt hat es «Cicero», «L’Hebdo» und «Blick am Abend» erwischt.

«Cicero» haben wir an die Chefredaktion und das Management weitergegeben. Das war eine grosszügige, aber auch gute Lösung für dieses wunderbare Magazin. «L’Hebdo» und «Blick am Abend» haben keine Aussicht, je wieder Geld zu verdienen. Deshalb war die Schliessung zwar schmerzhaft, aber konsequent.

«Blick am Abend» ist ein gutes Beispiel. Sie haben mir noch vor einem Jahr geschworen, der Titel würde weiter bestehen. Nun haben Sie ihn eingestellt.

Sie haben Recht. Wir haben «Blick am Abend» noch vor einem Jahr deutlich mehr Zeit eingeräumt. 2018 war aber auf dem Werbemarkt Schweiz – einmal mehr – ein hartes Jahr für Print-Publikationen. Deshalb der dann doch schnelle Entscheid. 

Wann verliert Ringier die Geduld und stellt eine Zeitung ein? Ein paar Jahre mit Verlust?

Ein paar Jahre mit Verlust – und keine Aussicht auf Gewinne in der Zukunft.

Der «Blick» kämpft nach Ihren Richtlinien auch ums Überleben. Der schreibt, wenn wir richtig rechnen, in den letzten Jahren eine schwarze Null.

Der «Blick» kämpft nicht ums Überleben. Nein. Der «Blick» will die nachhaltig grösste, digitale, journalistische Marke der Schweiz sein. Dafür sind wir bereit, viel zu investieren.

Ist der «Blick» das Denkmal von Ringier? Denkmäler stürzt man nicht.

Gut gesagt. Korrekt. Da gibt es auch nichts zu stürzen. «Blick» hat seit 60 Jahren eine grosse journalistische Bedeutung in diesem Land. Das wird so bleiben.

Werden wir etwas grundsätzlich. Hat der Journalismus eine Zukunft? Wenn ja, wie?

In den vergangenen zehn Jahren sind viele Zeitungen und Zeitschriften und Druckereien verschwunden. Andere wurden im Hintergrund via Zentralredaktionen journalistisch zusammengelegt. Dieser Prozess geht weiter, keine Frage. Heisst: weniger Zeitungen, weniger Zeitschriften, weniger Druckereien, mehr Zentralredaktionen für verschiedene Kopfblätter.

Und digital?

Werbung wandert weiterhin vor allem zu den Plattformen Facebook, Google, Youtube und Amazon. Und die Bereitschaft, für guten Journalismus zu bezahlen, bleibt – sagen wir – bescheiden. All dies bedeutet, dass nur wenige journalistische Marken es schaffen werden, gutes Geld mit Journalismus zu verdienen, um unabhängig und langfristig innovativ bleiben zu können.

Reichlich pessimistisch, Ihre Perspektive.

Realistisch. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es wird Medienmarken geben, die auch langfristig erfolgreich sein werden. Aber deutlich, deutlich weniger als früher. Die Zeiten, in der jede Lokal-, jede Regionalzeitung einigermassen sorglos geschäften konnte, sind vorbei. Das Gleiche gilt auch für Zeitschriften. Nur die allerbesten und geschicktesten Medienmarken werden sich durchsetzen.

Was heisst «die Allerbesten»?

Es braucht deutlich mehr, zu den Besten zu gehören, als früher: Starker Journalismus bleibt – selbstredend – die Grundlage. Für eine «FAZ», eine «New York Times» genauso wie für «Bild» oder «Blick». Digital braucht es dann diverse neue Kompetenzen: Leistungsfähige, sichere Basis-Technologie, intelligente Daten-Analyse, Video-Kompetenz, optimierter Umgang mit Social Media, Audio und Augmented Reality werden zunehmen. Wir sehen: Journalismus ist heute deutlich komplexer und aufwändiger. Auch dessen Vermarktung. Hier braucht es mehr Kreativität und gleichzeitig mehr Daten-Intelligenz.

Nun gibt es so etwas wie eine Gegenbewegung zu den grossen Verlagen. Es entstehen unabhängige Online -Plattformen. Es ist auch Ausdruck von Unbehagen gegenüber den kommerziell ausgerichteten Verlagen.

Verlage sind kommerziell ausgerichtet wie alle anderen Unternehmen auch. Ist eine Schraubenfabrik nicht kommerziell ausgerichtet, wird sie bald keine Schrauben mehr produzieren können. Ist der Bio-Laden im Seefeld nicht kommerziell erfolgreich, wird er bald keine Bio-Salate und Bio-Säfte mehr verkaufen können.

Es ist auch Ausdruck eines Unbehagens gegenüber dem Journalismus, der von den dominierenden Medienfirmen geboten wird.

Das vielleicht schon eher. In erster Linie aber kann heute eine Einzelperson oder eine kleine Gruppe dank der digitalen Verbreitung der Inhalte eine hohe Aufmerksamkeit und Reichweite erzielen. Das war früher nicht möglich. Diese neuen Angebote haben mit dieser Tatsache viel zu tun. Doch sie alle müssen feststellen: Digitaler Journalismus ist, will er langfristig gute Qualität bieten, enorm teuer. Teurer gar, als früher auf Papier. Das sind heute hochkomplexe Technologie-Plattformen und deren Betrieb und Weiterentwicklung kosten enorm viel Geld.

Dennoch, auch bei Ihnen haben manche Journalisten den Eindruck, Sie würden den Journalismus schlechtreden.

Das hat wohl zwei Ursachen. Um unsere Transformation innert so kurzer Zeit durchzuboxen, mussten wir überkommunizieren. Wir mussten immer wieder betonen, wie wichtig diese neuen Geschäfte für uns sind. Zweiter Grund: Wenn ich sage, dass Journalismus zurzeit kein langfristig gesichertes Geschäftsmodell ist, dann nennt man dies da und dort «schlechtreden». Es ist aber nur eine pragmatische Analyse der Fakten.

Reden wir zuerst über den Journalismus und dann über die Strukturfragen. Haben wir dieses Qualitätsproblem im Journalismus, von dem wir dauernd hören?

Redaktionen sind kleiner geworden, auf der ganzen Welt. Sie müssen aber deutlich mehr leisten. Diverse Kanäle, mehrere Disziplinen. Das Niveau zu halten, ist eine Herausforderung. Aber es ist unsere grösste Pflicht und vor allem: eine Chance. In einem Zeitalter, in dem jeder Blogger viel Öffentlichkeit schaffen kann, in dem Bots politische Debatten beeinflussen können, in dieser Zeit ist Absenderkompetenz und Kredibilität und Qualität DIE grosse Opportunität für Medienmarken.

Aber haben Journalisten im Hause Ringier überhaupt noch eine Zukunft?

Unbedingt. Sie müssen nur bereit sein, sich immer mehr auf Veränderungen einzustellen. Journalismus ist komplizierter geworden, dadurch aber auch reicher. Video, Audio, Social Media, direkte Interaktion mit Usern, Live-Broadcasting und, und, und. Es ist anspruchsvoller. Und – keine Plattitüde – vielseitiger. Noch vielseitiger als früher.

Was ist journalistische Qualität für Sie?

Ein Zusammenspiel von Fakten, attraktiven Erzählformen, interessanten Inszenierungen, Erklärung, intelligenter Einordnung – und Mut zum Standpunkt, allerdings klar gekennzeichnet. Egal, ob es um Politik, Sport, Wirtschaft, Wissenschaft oder Unterhaltung geht.

Und was nicht?

Halbwahrheiten, Zuspitzungen, Thesen-Journalismus, einfältige Darstellungen.

Wie viel Arbeitszeit verwenden Sie noch auf Publizistik, etwa der Diskussion mit Chefredaktoren?

Die vergangenen Jahre wurde enorm viel Energie und Zeit – und auch Geld – verwendet, das Unternehmen zu transformieren. Der Dialog mit den Redaktionen kam wohl etwas zu kurz. Das möchte ich ändern. Und doch – mit der Qualität unserer Publikationen dürfen wir zufrieden sein. Das gilt für die Tageszeitungen, für die Publikumszeitschriften, die Wirtschaftsmedien oder für die TV-Publikationen.

Wenn Sie wieder mehr mit Journalisten reden wollen, worüber muss man heute dringend reden?

Über tausend Sachen. Drei Beispiele: Welche präzise Rolle hat welcher Medientitel da draussen in diesem ständigen Informations-Gewitter? Oder: Wie setzen wir die Erzählform Video ein? Oder, fundamentaler: Wie definiert sich spezifische Relevanz für einen «Blick», für «Beobachter», für «Le Temps», für eine «Bilanz» oder eine «Handelszeitung»?

Es gibt so etwas wie Kulturpessimismus im aktuellen Journalismus.

Der Journalismus hat – weltweit – die härtesten, herausforderndsten, komplexesten zehn Jahre hinter sich. Und die nächsten zehn Jahre werden genauso sein. Redaktionen waren bis vor 15 Jahren – im Vergleich zu heute – ein Ponyhof.

Warum aber sind die Presseprodukte von Ringier so brav? Das ist auffallend, wenn man sieht, wie pointiert andere Titel wie «NZZ», «Weltwoche» oder «Wochenzeitung» geworden sind.

Sind sie brav? Das sehe ich anders. «Bilanz» oder «Beobachter» oder «Le Temps» sind richtig starke Titel, wenn es sein muss, unbequem. Und dann machen Sie nicht den Fehler, nur in der Schweiz zu schauen: In Serbien haben wir mit «Blic» die einzige unabhängige Zeitung, in Polen sind «Fakt», «Onet» oder «Newsweek» zentrale und hochrelevante Stimmen in einem geteilten Land.

Journalismus ist zunehmend die Kunst der Provokation. Früher, etwa unter Peter Uebersax, war Ringier darin der Marktleader. Diesen Rang haben Sie verloren.

Auch das sehe ich anders. Journalismus soll nicht die Kunst der Provokation sein. Dafür gibt es da draussen im World Wide Web weiss Gott genügend billige und – nennen wir es doch beim Namen – primitive Provokateure. 

Ich vermute doch, die inhaltliche Blässe der Ringier-Titel hat mit Ihrem zunehmenden Desinteresse an Journalismus zu tun. Eine «NZZ» etwa, hundert Meter von Ihnen entfernt, ist hier viel leidenschaftlicher.

Ringier ist und bleibt ein zutiefst journalistisch geprägtes Unternehmen. Wir haben 130 Medienmarken unter unserem Dach. Wie vorhin beschrieben, spielen diese Medien in der Schweiz oder in Osteuropa eine sehr wichtige Rolle. 

Wollen die Ringier-Titel noch gesellschaftspolitisch etwas bewegen in unserem Land?

Sie sollen, um Spiegel-Gründer Augstein zu zitieren, schreiben, was ist. Das gilt für unsere Schweizer Titel, aber auch von «Libertatea» in Rumänien bis zu «Blikk» in Ungarn. Je grösser und aufgeregter das Informationsgewitter da draussen ist, desto wichtiger werden diese grossen journalistischen Marken wieder. Daran glauben Michael Ringier und ich. Und Mathias Döpfner genauso. Mit Axel Springer zusammen halten wir ja die meisten Marken in Osteuropa.

Kommen wir zu den kommerziellen Aspekten. Journalismus macht bei Ihnen noch etwa die Hälfte des Umsatzes und einen Drittel des Gewinns. Wie war das Verhältnis 2018?

Digital ist weiterhin auf Wachstumskurs.

Und wie wird das Verhältnis im Jahre 2025 aussehen?

Das weiss ich nicht. Das weiss eh niemand. Meine Vermutung, für Ringier- Wir werden deutlich weniger journalistische Marken haben, aber immer noch sehr bedeutende. Sie dürften gar noch bedeutender werden. Operativ wird der Journalismus vielleicht 15 Prozent zum Gewinn beitragen.

Wer sind bei Ringier heute und in Zukunft die Gewinnmaschinen? Ich vermute, am meisten verdienen Sie mit Auto-Occasionen und Stellenvermittlung.

Digitale Marktplätze für Jobs, Immobilien und Autos sind sehr rentabel, korrekt. Ticketing auch. Aber ein «Beobachter», eine «Schweizer Illustrierte» oder «Onet» in Polen verdienen mit Journalismus immer noch gutes Geld.

Man kann sagen: Sie haben als Ex-Journalist Ringier von einem Verlagshaus in ein Handelshaus verwandelt.

In ein diversifiziertes Medienunternehmen.

Sie haben für die digitalen Marktplätze über 1 Milliarde Franken investiert. Was würden Sie noch kaufen, wenn es zu kaufen wäre?

Ich erinnere mich an ein Abendessen mit einem bekannten Verleger vor zehn Jahren. Nach zwei Flaschen Wein meinte er: «Ihr seid verrückt, so hohe Preise für diese digitalen Marktplätze zu bezahlen!» In der Tat lagen und liegen die Bewertungen bei 14 bis 20 mal operativer Gewinn. Enorm. Aber die Wertsteigerung dieser Plattformen war eben auch enorm in den vergangen Jahren. Das heisst: Die verdienen heute ein x-Faches. Es ist gut angelegtes Geld. Ich würde bei den Marktplätzen bleiben für den Moment.

Und würden Sie zum Beispiel eine gute Tageszeitung kaufen, bei uns oder anderswo?

In den Ländern, in denen wir aktiv sind, käme mir keine in den Sinn, die wir gerne noch besitzen würden.

Ringier war früher stets der am meisten publizistisch ausgerichtete Verlag. Sie verdienten, anders als die Konkurrenz, nie Geld mit gedruckten Rubriken-Anzeigen im Stellen-, Auto- und Immobilienmarkt. Im digitalen Markt haben Sie hier, etwa mit der Scout-Gruppe, gross zugelegt. Ist es Ihre grösste Leistung?

Es ist die grösste Leistung der Aktionäre. Sie haben ihr Geld dafür hergegeben, als niemand wusste, wie das rauskommen wird.

Man könnte auch sagen, Sie haben aus Ringier einen normalen Verlag gemacht. Normale Verlage haben in der Geschichte ihr Geld nie mit Publizistik verdient.

Das ist ein interessanter Satz. Und ganz und gar nicht falsch. Wenn auch selten so formuliert. In der Tat waren die Kleinanzeigen für Jobs und Immobilien stets ganz grosser oder gar grösster Treiber für Tageszeitungen.

Woher kommt Ihr Faible für die digitale Welt? Sie waren zuvor immer analog, als Tennis-Profi wie als Journalist. Ein Erweckungserlebnis?

Sicherlich in Boston, als ich ein Executive-Management-Programm bei Harvard machte. Ich kann vieles nicht so gut. Vorausdenken kann ich einigermassen gut.

Sie haben dann «digitalswitzerland» initiiert, eine Initiative zur Digitalisierung unserer Gesellschaft. Ist das wirklich nötig in einem traditionell innovativen Land?

Es ist fundamental wichtig für den Standort Schweiz.

Warum?

Die Schweiz ist ein ganz starker Wirtschaftsstandort. In diversen, globalen Indexes ist unser Land top: Kompetitivität, Innovation, Unternehmertum. Digitalisierung kann das Bild aber rasant verändern. Deshalb liegt mir mittlerweile auch das Thema Bildung am meisten am Herzen. Und zwar gleich ab der ersten Klasse.

Oder wollen Sie sich als Digital-Papst einfach wichtig machen?

Die Mitglieder haben diese Standort-Initiative gross gemacht. Wir haben mit einer Hand voll begonnen. Heute sind es rund 140. Die Brücke zur Verwaltung in Bern steht. Das ist einzigartig in Europa. Es ist auch ein Zeichen, wie die Schweiz Dinge anpackt.

Sie sind zwar ursprünglich Journalist, aber Sie haben Ihren Konzern ausserhalb des Journalismus wieder gross gemacht. Es ist eine Art Ironie der Firmengeschichte.

Ringier hat sich immer wieder neu erfunden. Die Familie, die hinter Ringier steht, ist eine einzigartige Unternehmer-Familie in diesem Land. Vielleicht habe ich – gerade, weil ich Journalist bin – früh die Herausforderungen gesehen.

Ihr Erfolg hat Ihnen dann eine Beteiligung von 10 Prozent am Unternehmen eingebracht. Wie kam das?

Diese Frage muss die Familie beantworten. Es war ein gegenseitiges «Wir machen das zusammen weiter» -Statement.

Sind Sie Michael Ringiers Sohn, den er nie hatte?

Ohne pathetisch zu sein: Michael Ringier ist Freund, Chef, Autorität und Inspirator. Weitsichtig, grosszügig, humorvoll, zutiefst integer, gebildet. Wäre also ein sehr guter Vater.

Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu Evelyn Lingg und Annette Ringier, den beiden Schwestern von Michael Ringier?

Die beiden sind Miteigentümerinnen des Unternehmens. Alles, was geschieht, wird am Ende in der Familie diskutiert. Und entschieden. Evelyn ist engagiert, sehr gut informiert über alles, bleibt aber im Hintergrund. Sie ist gescheit, präzise, nennt die Dinge beim Namen, denkt langfristig. Annette wiederum ist eine ruhige, bedachte, auch publizistisch denkende Aktionärin. Darüber hinaus hat sie grosses Vertrauen in ihre beiden Geschwister Evelyn und Michael.

Robin Lingg, der Sohn von Evelyn, ist der designierte Fahnenträger der nächsten, sechsten Generation Ringier. Sie haben ihn selbst ins Unternehmen geholt. Gescheit? Oder gefährlich?

Robin war bis 2013 Mitglied des Ringier-Verwaltungsrates, lebte in Mexiko und arbeitete in einer guten Position für das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim. Ich fragte Robin und die Familie, ob er nicht zu Ringier wechseln würde. Er ist schnell, zupackend, belastbar, digital äusserst versiert. Er ist weniger Manager, mehr Unternehmer – das gefällt mir.

Und? Wie macht er sich? Sie übergaben ihm ja das Afrika- Geschäft, von dem Sie sich viel erhoffen.

Man könnte auch sagen: Kein Teppichetagen-Powerpoint-Management, sondern die richtig harte Schule gleich zu Beginn. Afrika aufzubauen, war harte, schwierige Arbeit. Und er hat das ganz stark hinbekommen Sowohl den journalistischen Teil wie auch den Teil der digitalen Marktplätze.

Und hat diese grosse Karriere, wie man kolportiert, wirklich mit Ihren Tennispartien mit Michael Ringier begonnen?

Kennengelernt haben wir uns im Tennisclub Grasshoppers in Zürich. Schätzen gelernt auch. Dass daraus 25 Jahre beim Unternehmen Ringier werden, hätte keiner von uns je gedacht.

Spielen Sie noch Tennis mit Michael Ringier? Und wer von Ihnen beiden ist heute besser?

Wir spielen seit ein paar Jahren nicht mehr. Michael ist aber der fitteste 70-jährige Mann, den ich kenne. Wirklich.

Damit sind wir im Boulevardteil angekommen, also dort, wo Sie Ihre Wurzeln hatten. Also, was ist Ihnen wichtig im Leben?

Zufriedenheit. Privat und beruflich.

Wie wichtig ist Ihnen Geld?

Geld macht das Leben in vielen Bereichen angenehmer. Nicht mehr, nicht weniger.

Wie wichtig ist Ihnen Erfolg?

Mit Ringier Erfolg zu haben, ist mein oberstes berufliches Ziel.

Wie und wo leben Sie?

Mein berufliches Leben ist komplex, sicherlich auch spannend, aber schon beanspruchend. Es pausiert kaum. Privat mag ich es ruhig, mit der Familie.

Worauf könnten Sie nie verzichten?

Darf ich die Frage umformulieren? Was mir wichtig ist in meinem privaten Leben?

Einverstanden.

Meine Familie. Und Dinge mit meiner Familie zu unternehmen, egal was. Sport – jeden Morgen 45 Minuten Fitness. Nicht allzu ehrgeizig, aber immerhin. Eine Flasche guten spanischen Rotwein. Angeregte Debatten über alles Mögliche beim Abendessen mit unseren Freunden. Hundespaziergänge mit unserer Tochter. Ein Konzert von Robbie Williams mit meiner älteren Tochter. Ein Fussball-Spiel im Stadion. Einen guten Film schauen mit meiner Frau. Eine Sauna nach einem langen Tag.

Wen oder was bewundern Sie?

Alle, die weiterkommen wollen in ihrem Leben. Egal in was. Alle, die etwas lernen wollen, etwas besser machen wollen. Einfach einen Schritt vorwärtskommen Durchaus auch nur einen kleinen. Leute, deren Glas nie halb leer ist, sondern immer halb voll.

Und unsere traditionelle Schlussfrage: Was ist Ihr letzter Wunsch an den hl. Franz von Sales, den Schutzpatron der Journalisten?

Möge er dafür sorgen, dass Journalismus, diese so wichtige Dienstleistung, weiterhin eine Geschäftsgrundlage haben wird, die es erlaubt, unabhängig und im Dienste der Gesellschaft zu berichten, was ist.