Sonntagszeitung

| 13.03.21 | Von Rico Bandle

«Ein Streichelzoo ist der ‹Blick›-Newsroom nie gewesen»

Der Abgang von Jonas Projer beim «Blick TV» kam sogar für Marc Walder überraschend. Im Gespräch erklärt der Ringier-Chef die Bedeutung des Wechsels.

Jonas Projer war Chef und Aushängeschild von Blick TV – einem der ambitioniertesten und teuersten Medienprojekte der letzten Jahre in der Schweiz. Was bedeutet sein Abgang nach nur einem Jahr für Ringier?

Jonas Projer hat ein Jahr aufgebaut und nun ein Jahr live mit seinem Team gesendet. Also zwei Jahre. Es waren zwei gute Jahre. Und ja: Es waren zwei teure Jahre. Das Geld ist aber gut investiert.

Sie haben sehr stark für Blick TV und den Transfer von Jonas Projer eingesetzt, das Projekt ist sozusagen Ihr Kind. Ist der Abgang für Sie auch eine persönliche Enttäuschung?

Blick TV ist erstens ein strategisches Ziel: also die Marke «Blick» digital mit substanziell mehr Bewegtbild zu versorgen. So wie wir das in allen anderen 15 Ländern mit unseren digitalen Medien tun. Blick TV ist aber – ja – auch eine Herzensangelegenheit. Ich glaube daran. Ich engagiere mich persönlich. Näher und operativer als bei anderen Projekten unter dem Dach der Ringier-Gruppe. Der Wechsel von Jonas Projer kam überraschend für mich. Er hat mich vor einer Woche informiert. Wir haben zweimal dreissig Minuten telefoniert. Ich habe mich am Ende bei ihm bedankt. Und ihm viel Erfolg bei der «NZZ am Sonntag» gewünscht. Beides herzlich.

Wie zufrieden sind Sie, wenn Sie auf ein Jahr Blick TV zurückschauen? Was gefällt, was läuft noch nicht so gut?

Gut, nein, stark sind: die journalistische Qualität der Sendungen, der Beiträge, der Formate. Die Produktion, die Studios, die Moderatoren und Moderatorinnen, die Technik. Besser werden muss Blick TV beim Beantworten dieser Fragen: Wie viel investieren wir in live? Und wie viel in einzelne Videos, 30, 45, 60 Sekunden, die auf der Plattform jederzeit abrufbar sind? Kurzvideos über Joe Biden, die Krise beim FC Basel, Lara Gut, die Rassismusvorwürfe von Meghan und Harry, über den Terrassenstreit der Restaurants oder die Milliarden-Testoffensive der Schweiz.

Gemäss unseren Informationen liegt Blick TV bezüglich Nutzungszahlen 60 Prozent unter Plan. Hat Projers Abgang auch damit zu tun?

Blick TV hat täglich 600’000 Unique User. Und 1,03 Millionen View-Sessions pro Tag. Viel wichtiger: Wir werden weiter wachsen. Wir sind auf Kurs. Deshalb: nein.

Leute aus der «Blick»-Redaktion erzählen uns, man habe den anfangs für alle einsehbaren Klickzähler von Blick TV abgestellt, weil die Zugriffswerte so schlecht waren.

Davon weiss ich nichts. Ich bin schon einigermassen nahe dran, aber bei 120 Medienmarken dann so nah auch wieder nicht. Die aktuellen Zahlen aber habe ich vorhin geschildert. Dafür muss sich niemand schämen. Im Gegenteil.

Wie sieht es wirtschaftlich aus? Ist die Gewinnschwelle in Sichtweite?

Das Ganze (Technologien, Studios, Mitarbeiter/innen, Vermarktung etc.) ist gut und gerne eine 10-Millionen-Kiste. Payback planen wir für die nächsten Jahre. Ehrlich gesagt: Digitale Projekte, so mein Learning nach 15 Jahren Transformation, sind super herausfordernd punkto Return-on-Investment-Planung. Man bewegt sich ja meist in einer Welt des Neuen. Sonst wäre es ja auch keine Innovation. Und Neues ist schwieriger planbar als Bestehendes.

Blick TV ist dem althergebrachten linearen Fernsehen sehr nah. Für das Handy optimierte Videokanäle sehen heute anders aus: Mit Beiträgen, die man mit dem Finger nach oben schiebt, wenn sie nicht gefallen, dann kommt von unten der nächste. So lernen es die Jungen auf Social-Media-Plattformen wie Instagram und Tiktok. War es ein Fehler, auf die klassische Form zu setzen?

Blick TV muss an einem Ort erfolgreich sein: auf dem Smartphone. Ein Gedanke: Tiktok war vor drei Jahren, als wir in Zürich die erste Sitzung zu Blick TV hatten, eine Randnotiz. Und heute? Mainstream. Was wir also lernen: Digitale Gewohnheiten und Bedürfnisse ändern sich rasend schnell.

Ringier musste einen Mediator («Product Owner») einsetzen, da es zwischen Jonas Projer und Kadermitarbeitern zu Spannungen gekommen war, einzelne verweigerten irgendwann sogar das Gespräch mit Projer. Lag es am Zwischenmenschlichen, dass das Projekt trotz üppiger Mittel und zum Teil sehr guten Inhalten nur harzig vorankam?

Vorab: Ein Product Owner ist Standard in modernen Newsrooms. Dann: Ein Streichelzoo ist der Newsroom der «Blick»-Gruppe nie gewesen! Es wird gerungen um journalistische Fragen und Linien, es wird gekämpft um Millionen-Budgets, um – immer mehr (!) – technologische Ressourcen. Projekt-Chefs aller Bereiche verlangen Speed und Mittel für ihre Anliegen. So auch Projer. Ich habe das mitbekommen. Versucht zu orchestrieren, schlichten. Zusammen mit Ladina Heimgartner und Christian Dorer. Manchmal gelang es. Manchmal nicht. Ein Grund für den Abgang war das nicht. Er kann Chefredaktor einer wunderbaren Sonntagszeitung werden.

Wird Blick TV noch zur Erfolgsgeschichte?

Das Bewegtbild-Angebot beim «Blick» ist längst eine Erfolgsgeschichte. Stellen Sie sich «Blick» auf Ihrem Laptop oder Ihrem Smartphone ohne Videos vor …

Die Nachfolge von Jonas Projer ist noch nicht bestimmt. Sucht man wieder nach einer prominenten Persönlichkeit, die auch vor der Kamera eine gute Figur macht?

Blick TV ist in besten Händen. Das sechsköpfige Leitungsteam führt Blick TV nun interimistisch. Wir denken nun in Ruhe über das Profil des zukünftigen Chefredaktors oder der zukünftigen Chefredaktorin von Blick TV nach. Und haben keine Eile.

Das Interview wurde auf Wunsch von Marc Walder schriftlich geführt.