Vom Eckzimmer im obersten Stock der Ringier-Hauptverwaltung aus sieht man weit über den Zürichsee. Marc Walder, der Chef des Medienunternehmens, mag nur Sushi und Salat zum Mittagessen – bloss nichts Schweres. Er macht sich Sorgen um seine Firma, die unter anderem die Boulevardzeitung Blick herausgibt. Deshalb setzt er seit Langem auf digitale Produkte, die Abhängigkeit von Zeitungen, Zeitschriften und Druckereien wird immer kleiner. Aber er fürchtet auch um die Schweizer Wirtschaft.
SZ: Herr Walder, Sie haben vor zwei Jahren die Initiative «Digitalswitzerland» gegründet. Warum?
Marc Walder: Wir wollen damit einerseits die Schweiz zu einem führenden digitalen Standort in Europa machen. Über 70 der grössten Unternehmen haben sich dieser Standort-Initiative bereits angeschlossen. Das dürfte einzigartig sein in Europa. Andererseits möchten wir die Menschen an die Digitalisierung heranführen. Vielen Bürgern bereitet der Umbruch noch grosse Angst, beruflich, aber auch privat. Digitalswitzerland will auch Aufklärung, Erklärung, Erlebbarkeit bieten. Unsere Regierung, der Bundesrat, ist mittlerweile ebenfalls involviert.
Wie funktioniert Ihre Initiative?
Die Mitglieder leisten eine Art Mitgliedsgebühr von 50 000 Franken. Die einzelnen Projekte von Digitalswitzerland werden dann zusätzlich unterstützt. Das ist meistens substanziell mehr als die Grundgebühr. Dazu gehören etwa Programme für Start-ups aus aller Welt, oder der Investor Summit, oder das Digital Festival in Zürich – oder ein grosses Summercamp, in dem Kinder programmieren lernen und so weiter.
Sie planen einen Digitaltag. Warum?
Ja, am 21. November wird erstmals der Digitaltag Schweiz stattfinden, der die ganze Bevölkerung erreichen soll. Sicherlich eine Art Leuchtturmprojekt unserer Initiative. An diesem Tag sollen alle Bürger in der Schweiz mit dem omnipräsenten Thema Digitalisierung konfrontiert werden, in einer positiven und erlebbaren Form. Egal, ob sie gerade am Bahnhof oder in einem Supermarkt, einer Bank oder bei der Post sind.
Aber wir leben doch im Jahr 2017, die Digitalisierung ist Realität. Ist die Schweiz bei der Digitalisierung so weit abgeschlagen, dass das Land so etwas braucht?
Die Schweiz ist – so zeigen diverse Studien – weltweit führend in puncto Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Unternehmertum. Das Land hat das zweitgrösste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf weltweit. Die Schweiz ist also ein hervorragender Wirtschaftsstandort. Aber die Schweiz muss wie jeder andere Standort aufpassen, dass sie diese Stärken nicht verliert. Denn die Spielregeln ändern sich gerade radikal durch die Digitalisierung. Und zwar rasend schnell. Egal, in welcher Industrie.
Die Schweiz schottet sich eher ab von Europa und vom Rest der Welt, hat eine eigene Währung, ist nicht Mitglied der EU. In der digitalen Welt ist Abschottung nicht möglich. Ist nicht das das Problem?
Abschotten hilft nie, aber klar: Die Schweiz liegt mitten in Europa und gefällt sich in einer Art Sonderrolle. Allerdings: Viele grosse Unternehmen haben ihren Sitz in der Schweiz. Schauen wir, dass dies so bleibt.
Die Initiative ging von Ringier aus. Wie ist die ganze Sache ins Rollen gekommen?
Die Medien- und die Musikindustrie haben den Einfluss der Digitalisierung bislang am härtesten gespürt. Wir als Medienunternehmen wissen also, wie schnell und radikal das alles gehen kann, und dass wir das Thema Disruption ernst nehmen sollten. Vor gut zwei Jahren bin ich dann auf die Chefs der grossen Schweizer Unternehmen – Banken, Versicherungen, Telekommunikation, Einzelhändler, aber auch Google – zugegangen. Das erste Ziel, den cross-industriellen Schulterschluss, haben wir mittlerweile erreicht. Zusammen haben wir nun unter anderem ein digitales Manifest erarbeitet, wie Steuersystem, Weiter- und Ausbildung, Forschung, Infrastruktur und so weiter verbessert werden sollen. Wir haben das Manifest Wirtschafts- und Bildungsminister Johann Schneider-Ammann überreicht. Wir versuchen also gemeinsam, ein paar wichtige Nägel einzuschlagen.
Wo steht die Schweiz im digitalen Wettbewerb der Länder?
Tel Aviv, London, selbstredend das Silicon Valley, auch Berlin – in vielen Regionen tut sich eine Menge. Die Schweiz hat zwar noch nicht dieselbe Visibilität als digitaler Standort, aber wir hatten 2016 beispielsweise bereits das grösste Start-up-Programm Europas in Zürich.
Kann man einen solchen digitalen Spirit staatlich und mit einer Zwangsinitiative verordnen oder entwickelt sich das nicht vielmehr von selbst?
An etwas zu arbeiten, zumal gemeinsam mit anderen Unternehmen und Institutionen, lohnt sich immer. Genau das tun wir. Wir brauchen zum Beispiel die richtigen Rahmenbedingungen, damit wir die Digitalisierung wirklich vorwärtsbringen können. Unternehmen sollten zum Beispiel erst dann besteuert werden, wenn sie Gewinne machen. Dann müssen wir die besten digitalen Talente anziehen. Und – zentral – die Menschen sollen die Digitalisierung nicht als Bedrohung, sondern als Opportunität wahrnehmen.
Die Schweiz hat viele Nachteile, die Lebenshaltungskosten sind sehr hoch, ausländische Arbeitskräfte kommen nur schwer rein, die Schweiz ist nicht gerade als hip und innovativ bekannt…
Täuschen Sie sich nicht, da gibt es viele Vorurteile. Aber Sie haben recht: Die Kosten sind hier hoch. Dann müssen wir den Arbeitsmarkt offener gestalten, besonders für Menschen aus Nicht-EU-Ländern, daran arbeiten wir. Aber denken Sie auch an unsere Hochschulen, die gehören weltweit zu den besten. Unsere Infrastruktur ist gut, wenn auch nicht so ausgebaut wie in Skandinavien. Denken Sie an Google, ebenfalls Mitglied von Digitalswitzerland. Google hat Zürich zum europaweiten Forschungsstandort gemacht mit bald 5000 Mitarbeitern. Die haben sich das gut überlegt.
Sie haben Skandinavien genannt. Dort wird schon lange investiert.
Korrekt, auch in die Aus- und Weiterbildung, eines unserer Lieblingsthemen. Auch die Lehrpläne in den Schulen stehen vor grossen Herausforderungen: Programmieren ist das neue Lesen und Schreiben, das müssen unsere Kinder von der ersten Klasse an lernen. Wieso sollen Kinder pauken, welcher Römer dem anderen vor Tausenden Jahren eines auf den Deckel gegeben hat? Die sollen lieber die Basis der digitalen Welt verstehen. Spielerisch. Wir können, das gilt auch für Deutschland, nicht alle Programmierer aus China, Polen, der Ukraine oder Asien holen.
Lernen auch Sie selbst das Programmieren?
Unsere Konzernleitung bei Ringier lernt, wie man programmiert. Wir haben von jeder Vorstandssitzung eine Stunde abgezwackt, da kommt jetzt ein Experte und bringt uns Programmieren bei. Seit drei Monaten sitzen wir auf der Schulbank.
Muss man Programmieren denn überhaupt können?
Es macht mehr Spass in den Bergen, wenn Sie Ski fahren können. Programmieren können hilft, das Fundament der Digitalisierung besser zu verstehen. Wir sind heute überall konfrontiert mit digitalen Prozessen. Ich wünschte, ich hätte vor 15 Jahren programmieren gelernt.