Von Urs Heller, Chefredaktor GaultMillau Schweiz
Generationenwechsel, Wachablösung: An der Spitze der Schweizer Gastronomie stehen Veränderungen an. Horst Petermann und Gérard Rabaey sind im «Ruhestand» (der eine mehr, der andere weniger…). Ihre Nachfolger Rico Zandonella («Kunststuben», Küsnacht ZH) und Stéphane Décotterd («Pont de Brent», Brent VD) stellten sich erstmals solo den Testern. Unser Eindruck: hervorragend. Aber: Die Topnote 19 lässt sich nicht «vererben» – also starten beide ihren nächsten Karriereschritt bei 18 Punkten. Am 1. April 2012 wird auch in Crissier VD eine Stabübergabe fällig: Philippe Rochat geht (zu früh, unserer bescheidenen Meinung nach!), Benoît Violier ist der hervorragende Nachfolger; Rochat kocht noch sechs Monate für uns, also lassen wir die 19 Punkte in dieser Ausgabe noch stehen.
In den übrigen 19-Punkte-Restaurants haben wir auch dieses Jahr wieder ausgezeichnet gegessen. Wir mögen das Temperament von Philippe Chevrier («Domaine de Châteauvieux», Satigny GE), das grenzenlose Talent von Didier de Courten («Terminus», Sierre VS) und die souveräne Performance von Bernard und Guy Ravet («L’Ermitage», Vufflens-le-Château VD). In der Deutschschweiz ist André Jaeger («Fischerzunft», Schaffhausen) kein bisschen müde, sondern sprüht vor neuen Ideen. Und Andreas Caminada («Schauenstein», Fürstenau GR) ist endgültig zum Star der Branche geworden; wie souverän er mit dem riesigen Druck umgeht, ist schon beeindruckend. Genauso wie die Tatsache, dass man bis acht Monate auf einen freien Tisch warten muss.
Die freien Plätze in der 19-Punkte-Liga wollen wir nicht um jeden Preis besetzen. Wir führen eine klare «watchlist» und lassen uns Zeit; eine Beförderung in die höchste kulinarische Klasse will wohlüberlegt sein.
Der «Koch des Jahres» aus dem Landgasthof
Wo sind eigentlich die letzten «Köche des Jahres» zu Hause? Einer kocht auf einem Schloss (Andreas Caminada). Zwei andere profitieren von der Potenz eines Fünfsternehotels (Peter Knogl im «Les Trois Rois» in Basel, Dominique Gauthier im «Beau-Rivage» in Genf). 2Braucht es also Glanz und Gloria, Mäzene und Sponsoren, um sich die begehrteste Auszeichnung der Branche abzuholen? Zum Titel führen verschiedene Wege. Wir sind jedem Mäzen dankbar, der sein Geld in ein Toprestaurant investiert, und werden diesen deutlichen Trend auch nie kritisieren. Wir geben aber einem tüchtigen Patron, der seine Rechnungen selber bezahlt, die genau gleichen Chancen. Es muss kein «Palace» sein, wir fühlen uns in einem gemütlichen Landgasthof genauso wohl.
Franz Wiget im Restaurant Adelboden in Steinen SZ führt den wohl besten Landgasthof der Schweiz. Sein sehr sympathisches, aber keineswegs luxuriöses Restaurant liegt recht abgelegen an der Hauptstrasse Schwyz-Sattel. Der Chef hat den kulinarischen Kompass in den letzten Jahren ausgezeichnet justiert: Er holt sich von seinen Freunden und Nachbarn, was die Region hergibt (Fleisch aus dem Muotatal, Fische aus dem Zugersee, Käse von den umliegenden Alpen), aber er fischt buchstäblich auch im Meer: Seafood, in bester Qualität beschafft und herausragend zubereitet, ergänzt seine regionale Küche. Chef Wiget spielt in der Küche die Hauptrolle und treibt seine kleine Brigade zu Höchstleistungen an. Seine Frau Ruth sorgt in den heimeligen Stuben für eine angenehme Ambiance und für professionellen Service. Eine sympathische Adresse. Eine erstklassige Adresse. Die erste «Koch des Jahres»-Adresse in der Zentralschweiz!
Eine «Köchin des Jahres». Und drei herausragende «Aufsteiger»
Der Titel «Köchin des Jahres» wird nur selten vergeben, weil nur wenige Frauen die Challenge annehmen, über mehrere Jahre hinweg um einen Platz an der kulinarischen Spitze zu kämpfen. Von den bisherigen «Köchinnen des Jahres» stehen nur noch drei am Herd: Vreni Giger (2003, «Jägerhof», St. Gallen), Tanja Grandits (2006, heute «Stucki», Basel) und Käthi Fässler (2009, «Hof Weissbad», Weissbad AI). Jetzt gibt’s Verstärkung: Maryline Nozahic, 37 («La Table de Mary», Cheseaux-Noréaz VD), klettert auf 16 Punkte und kriegt den Ehrentitel. Die Französin aus dem Departement Ain ist keine Unbekannte im GaultMillau-Land: 2005 war sie unsere «Entdeckung des Jahres».
Der GaultMillau empfiehlt drei Restaurants ganz besonders – die Aufsteiger des Jahres! In der Deutschschweiz wurden wir zweimal fündig: Die Brüder Horst und Daniel Homann in Samnaun-Ravaisch GR haben uns stundenlang bekocht und verblüfft, bis wir begeistert die Note 18 zückten. In Bern («Meridiano») steht mit Markus Arnold ein erst 28-jähriger Chef in der offenen Showküche, der durch ein Übermass an Talent und Ehrgeiz auffällt; wir schieben ihn mit 17 Punkten ins Rampenlicht. In der Romandie hat uns Damien Germanier im «Botza» in Vétroz VS überzeugt (16 Punkte). Er hat sich bei grossen Chefs weitergebildet und arbeitet jetzt hart an seiner eigenen Karriere.
Unsere «Entdeckungen des Jahres»: Tino Zimmermann (14, «Stiva Veglia», Schnaus GR), Julien Retler (14, «Le Petit Manoir», Morges VD) und Matthias Althof (15, «Tentazioni», Cavigliano TI).
Zwei tolle Hotels: «Lausanne Palace & Spa». Und «The Dorchester» – fest in Schweizer Hand
Der GaultMillau ist auch ein Hotelführer. Diesmal zeichnen wir das «Lausanne Palace & Spa» aus. Jean-Jacques Gauer ist ein erstklassiger Direktor. Und Executive Chef Edgard Bovier sein wichtigster Mann. Eine Auszeichnung geht nach London ins «Dorchester». Das legendäre Hotel führt der Freiburger General Manager Roland Fasel. Er hält die ehrwürdige Hotellady jung, kooperiert mit weltberühmten Chefs (Alain Ducasse, Sir David Tang, Wolfgang Puck) und ist «Schweizer Star im Ausland».
Den «Sommelier des Jahres» orten wir in Le Noirmont JU: Thomas Schmidt, in einer Elsässer Winzerfamilie aufgewachsen, geniesst das Vertrauen seines Patrons Georges Wenger und der Gäste. Ulf Braunert («Hess by Braunerts», Engelberg, 15 Punkte) bittet im Klosterdorf erst zu Tisch, dann in eine wunderschöne Smoker’s Lounge. Er ist unser «CigarMan of the Year».
Mindestens 696 von 837 Restaurants sind keine LuxusadressenDer «GaultMillau 2012» listet die Rekordzahl von 837 Restaurants (und über 100 Hotels) auf. Ein Luxus-Guide? Keineswegs! 696 von 837 Restaurants sind mit den Noten 12, 13, 14 und 15 bewertet. Das sind keine «Gourmettempel», das sind Köche, die mehrheitlich im Quartier, in kleinen Ortschaften und auf dem Land kochen – mit viel Ehrgeiz und Engagement, aber ohne Firlefanz und Silberclochen. Auch in den meisten der höher bewerteten Restaurants ist die Ambiance viel entspannter als noch vor einigen Jahren.
81 Restaurants steigen auf, 29 tauchen. 84 Adressen haben wir neu entdeckt, 80 streichen wir aus der Liste.
Diese Meldung und Bilder zum Download finden Sie unter www.schweizer-illustrierte.ch/essen+trinken
GaultMillau Schweiz