MK Marketing & Kommunikation

| 02.09.19 | Von Johannes Hapig

Man on a Mission

Der Ringier-CEO Marc Walder will die Schweizer zum lebenslangen Lernen ermutigen: Diesem Thema widmen er und seine Mitstreiter der Standort-Initiative digitalswitzerland den landesweiten Digitaltag am 3. September. Vor dem Event hat Walder uns zum Gespräch empfangen – ein Austausch über grosse und kleine Veränderungen, Zukunftswünsche und unternehmerischen Mut.

Der sechste Stock des Ringier-Stammhauses an der Dufourstrasse, ein bewölkter Donnerstag im August. An den Wänden hängt moderne Kunst, die bekannte Leidenschaft des Verlegers. Aber nicht nur sie fesselt den Blick: Hohe Glasfronten öffnen den Raum zum See, wo ein paar Boote gemächliche Bahnen ziehen. Dann erscheint Marc Walder, Ringier-CEO seit mehr als zehn Jahren, Anteilseigner seit 2018; in der Physis immer noch der Tennisprofi von dazumal. Ein Händedruck, ein wenig Smalltalk – dann kann das Gespräch beginnen.

Marketing & Kommunikation: Dieses Magazin erscheint unmittelbar zum Schweizerischen Digitaltag am 3. September. Sie waren mit der Initiative digitalswitzerland erneut für die Organisation verantwortlich. Verraten Sie uns: Worauf freuen Sie sich bei dem Event besonders?

Marc Walder: Erstens freue ich mich, dass der Digitaltag überhaupt stattfindet. Das Projekt ist europaweit immer noch einzigartig, obwohl es jetzt Bestrebungen gibt, das zu kopieren – was wichtig für Europa ist. Liechtenstein macht einen Digitaltag, in Osteuropa gibt es Polen und Serbien, die einen machen wollen. Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen, dass man einen solchen Digitaltag veranstaltet. Wissen Sie: Als wir uns vor dreieinhalb Jahren in einer Vorstandssitzung von digitalswitzerland darüber unterhalten haben – und da waren alle Firmenchefs am Tisch, die damals Mitglied waren –, gab es zwei Lager. Die einen haben gesagt: «Unbedingt, für die Bevölkerung, für die normalen Menschen in diesem Land Digitalisierung erlebbar machen. Toll.» Und die anderen haben gesagt: «Das ist so eine grosse Kiste, und damit verbunden ein grosses Risiko. Stellt euch vor, es ist Digitaltag – etwas, was man in der Bevölkerung damals noch nicht kannte – und niemand geht hin. Was für eine Blamage wäre das!»

Aber eine Blamage wurde es ja nicht…

(lacht) Nein! Schon bei der ersten Ausgabe kamen Zehntausende von Bürgerinnen und Bürgern. Alt und Jung. Städter genauso wie ländlich Wohnende. Dazu Bundesräte, Wirtschaftsführer, Spitzenpolitiker, Chefs der grossen Institutionen wie ETH oder EPFL – alle waren dabei. Das war ein wahnsinnig gutes Gefühl. Und darauf jetzt aufzubauen und den Digitaltag einerseits immer grösser zu machen, andererseits immer dezentraler zu konzipieren, das ist so etwas, worauf wir alle bei digitalswitzerland uns freuen und worüber wir als Team hinter dem Digitaltag stolz sein können. Verbunden mit dem Dank an alle, die das ermöglichen.

Die Hauptpartner des Events sind grosse Unternehmen: APG, Google, Ringier, die SBB, die SRG und Swisscom. Würden Sie die alle als Vorreiter der digitalen Transformation bezeichnen?

Generell sind wir bei digitalswitzerland heute über 160 Mitglieder, und das sind alles Mitglieder, die dreierlei erkannt haben: Erstens, dass die Digitalisierung in praktisch allen Bereichen des Lebens auch für sie bedeutet, dass sich ihr Geschäftsmodell oder das, was sie heute tun, innert sehr kurzer Zeit verändern wird. Es geht schnell, es geht radikal. Zweiter Punkt ist: Sie haben anerkannt, dass die Schweiz als
führender Wirtschaftsstandort in vielen Indexen ganz weit vorne ist: Enterpreneurship-Index, Competitiveness-Index, Innovation-Index, das sind alles globale Indexe, die Schweiz ist immer ganz weit vorne, aber – das kann sich schnell ändern. Nicht nur Unternehmen
gewinnen oder verlieren durch die Digitalisierung an Boden, sondern auch Länder. Es ist einfacher für ein Unternehmen, an einem Standort weiterzukommen, der digital kompetitiv, digital sexy ist. Wo wenig Innovation geschieht, werden auch weniger erfolgreiche Unternehmen zu finden sein. Der dritte Punkt, den wir alle mit Ja beantwortet haben, ist: Wir wollen mithelfen, da was zu tun. Wir hätten vor viereinhalb Jahren – als wir das Ganze als kleines Grüppchen aus Wirtschaft und Akademie gegründet haben – nie gedacht, dass digitalswitzerland einmal so gross und kraftvoll werden wird. Und der Spirit des Anfangs herrscht weiterhin. Wir zusammen können in verschiedenen Bereichen – jetzt sprechen wir gerade vom Digitaltag, aber es gibt noch viele andere Aktivitäten – wirklich viel bewirken. Das wird von aussen, von den anderen Ländern, übrigens mit viel Bewunderung beobachtet: Dass die Schweiz so eine derart starke und grosse Gruppe zusammengebracht hat, die an diesen Themen arbeitet. Alle Mitglieder investieren dafür Geld, Zeit und bringen grossartige Mitarbeiter mit für die verschiedenen Projekte. Das ist schon faszinierend.

Würden Sie sich noch mehr Commitment vom «harten Kern» der IT-Branche und deren Verbänden wünschen?​

Natürlich, denn je besser die Durchmischung in der Mitgliederstruktur ist – eben auch von eher IT-orientierten Companies, digitalen Agenturen und so weiter –, desto mehr profitieren alle. Die Frage, die sich einige Unternehmen da stellen, ist ja: «Was bringt es uns denn unmittelbar?» Das ist aber die falsche Frage. Die richtige Frage wäre: «Wo kann ich mich einbringen?» Denn wenn ich mich beim Thema Start-up-Oekosystem, Aus- und Weiterbildung oder Infrastruktur einbringe, wird automatisch ein positiver Effekt für das ganze Grosse erzielt. Davon profitieren dann wiederum viele.

Aber wir halten fest: Wenn das jetzt jemand aus dem Digital Marketing liest und denkt, seine Firma wäre gern – digitalswitzerland ist offen?

Sicher, wir versuchen, alle zu umarmen, die in irgendeiner Form diese Ideen mittragen und Know-how einbringen können. Auf jeden Fall.

Wo haben wir den in der Schweiz noch den grössten Nachholbedarf im Digitalbereich?

Es gibt drei Punkte, die wir aktuell gerade auf der Liste haben. Erstens, das Thema E-ID: die digitale Identität, die übrigens mit der SwissID am ersten Digitaltag vor zwei Jahren lanciert wurde. Das war ein wichtiger Meilenstein. Diese SwissID gibt es ja seit zwei Jahren und eine Million Menschen in der Schweiz nutzen sie bereits. Nun geht es darum, dass wir das E-ID-Gesetz diskutieren. Die beiden Kammern haben das bereits grossmehrheitlich bestätigt, aber es wird möglicherweise ein Referendum geben.

 Davon gehen Sie aus, weil…?

Weil die Unsicherheit relativ gross ist: Was ist die Rolle des Staates bei der digitalen Identität, und was die Rolle des privaten Sektors? Diese Unsicherheit besteht, obwohl die Rollenverteilung klar und sinnvoll geregelt ist. Wir müssen jedenfalls Fortschritte machen: Eine digitale Identität, mit der die Bürger digitale Dienstleistungen auf Schweizer Plattformen beziehen können – aber und vor allem auch mit kommunalen, kantonalen oder nationalen Behörden kommunizieren können, das ist fundamental wichtig.

Wo muss es noch Fortschritte geben?

Der zweite Punkt ist das Thema 5G. Jegliche digitalen Engagements sind nur so gut, wie die digitale Infrastruktur in einem Land ist. Und genauso wie bei der E-ID gibt es auch bei 5G noch viel Unsicherheit, etwa medizinische Bedenken, die übrigens nicht fundiert sind in Studien, sondern die sind einfach da, und die soll man auch ernst nehmen. Aber, um es kurz zu machen: Es ist ganz wichtig, dass die Schweiz bei 5G ein Vorreiter werden wird – und diese Chance haben wir weiterhin. Denn alles, was an «connected devices» oder an digitalen Dienstleistungen erstellt werden kann, beruht schlussendlich darauf, dass wir eine hohe Datengeschwindigkeit anbieten können in der Schweiz. Also: E-ID, 5G, und der dritte Punkt ist das Datenschutzgesetz. Die Datenschutz-Grundverordnung der EU ist alles in allem eine gute Sache, der die Schweiz aber eben noch nicht angeschlossen ist. Unser Parlament sollte nun das Schutzniveau rund um Daten jenem im umliegenden Europa anpassen. Wenn Schweizer Bürgerinnen und Bürger angemessen geschützt sind, wird der Zugang
unserer Wirtschaft zum freien Austausch von Daten gesichert. Und die Reputation der Schweiz als wettbewerbsfähige, digitale Nation gestärkt.

Werfen wir einen Blick auf die Digitalisierung im Hause Ringier – dazu gibt es seit Mai mit «Ringen um Ringier» sogar ein ganzes Buch. Gab es in Ihrem Unternehmen immer schon eine Affinität für die Thematik?

Was es bei Ringier gibt und gab, ist eine enorme unternehmerische Selbstverständlichkeit. Das Unternehmen und vor allem die Aktionäre haben stets sehr unternehmerisch gedacht. Das ist der rote Faden durch die lange Geschichte von Ringier. Man ist – ich nehme mal die letzten drei Jahrzehnte – nach Osteuropa gegangen, als man beinahe dafür ausgelacht wurde. Man ist nach Asien gegangen. Und man ist nach Afrika gegangen vor sieben Jahren, als viele fragten: Was machen die Schweizer jetzt im grossen Afrika?Thematisch war vor elf oder zwölf Jahren die Aufmerksamkeit beim Thema Digitalisierung sehr klein – wie bei allen anderen Verlagen oder Medienhäusern auch. Man hat sein Geschäft gemacht und das lief auch sehr gut. Man darf nicht vergessen, dass der Zeitpunkt, zu dem wir den Kick-off Richtung Transformation gemacht haben, eines der erfolgreichsten Jahre von Ringier überhaupt war. Das heisst, wenn der Leidensdruck nicht gross ist, weil es immer noch brummt, ist es umso schwieriger zu sagen: «Hey, jetzt müssen wir uns verändern und investieren!»

Und dann hat man sich in Geschäftsfeldern engagiert, in denen sich das Unternehmen vorher noch nie betätigt hatte. Hatten Sie da manchmal Herzklopfen, ob das alles gut geht?

Die allererste Transaktion war die Scout24-Gruppe in der Schweiz. Wir hatten damals viel Geld ausgegeben für dieses Unternehmen, so um die 160 Millionen Schweizer Franken und (lacht) wir hatten eigentlich im Haus nicht die Kompetenz, so eine Firma zu führen. Wir wussten nicht wirklich, wie digitale Marktplätze im Bereich Automobile und Immobilien funktionieren. Ich erinnere mich ans erste Management-Meeting mit der Scout24-Gruppe, wo wir, die Ringier-Manager, denen zugehört haben und nicht gerade viel verstanden haben. Die haben über Sachen geredet, die kannten wir nicht, war ja auch logisch…Was Ringier als Unternehmen aber gut kann: Es kann sehr gut einen Stein ins Rollen bringen und den dann konsequent, mutig, schnell adaptierend nach vorne treiben. Das ist natürlich auch oft ein Risiko, wenn Sie solche Sachen machen wie nach Osteuropa, Asien, Afrika zu gehen oder sich in die Digitalisierung zu stürzen. Viele haben damals Michael Ringier und mir gesagt, dass wir verrückt seien, so viel Geld auszugeben für digitale Firmen, die damals viele noch nicht richtig einschätzen konnten. So viele Millionen da und dort, etwa ins Ticketing oder eben die digitalen Marktplätze im Auto-, Immobilien- oder Job-Segment. Doch die Aktionäre hatten diese Bereitschaft, diesen unternehmerischen Mut.

Im Buch gibt es Anekdoten über E-Mails zu heiklen Transaktionen, die an den falschen Kontakt gehen; über Meetings in Weinkellern in ganz kleiner Runde; über Treffen mit Investoren in Manhattan. Mitunter bekommt man fast den Eindruck, man würde einen Krimi lesen. Habne Sie die geschilderten Anekdoten damals selbst auch als so aufregend empfunden?

Wir hatten ein Abendessen mit Freunden vor Kurzem und die haben tatsächlich ein wenig im Buch gelesen. Eine schnelle Klammer vorab: Die Ansage an den Buchautor René Lüchinger war: Du bist der Autor, du bekommst Zugang zu allem, zu allen Dokumenten, Protokollen und Menschen, die involviert waren, und die reden mit dir. Du wertest das aus und machst damit, was du richtig findest. Bitte erzähle es aber so, dass niemand dabei einschläft. Und es ist einigermassen gelungen, denke ich. Das der Einschub, jetzt zur Anekdote: Da haben die erwähnten Freunde also tatsächlich ein bisschen im Buch gelesen. Das mit der falschen Mail – da ging es um die Ticketcorner-Aquisition vor rund 10 Jahren. Da haben die sich kaputtgelacht beim Abendessen über diesen Fehler von mir: Der ganze Aktionärsbindungsvertrag, den ich an die falsche Adresse geschickt habe im Beisein aller Anwälte hier im Office. Wenn man ein Unternehmen führt, dann ist das wie überall im Leben – Sie machen Fehler, Sie übersehen etwas, Sie vergessen etwas… Sie treffen sich im Weinkeller, finden einander gut, kommen auf eine gute Idee und sagen: «Lass uns das weiterverfolgen.» Oder Sie treffen jemanden, der hat eine super Idee, ist aber ein A…, mit dem man nichts zu tun haben möchte…, dann wird wohl nichts draus. Oder Sie ringen sich über Wochen zu einem Aktionärsbindungsvertrag durch, sind am Ende todmüde und schicken den 80-seitigen Vertrag nicht nur an die falsche Adresse, sondern an einen Konkurrenten Ihres eigentlichen Partners – das Schlimmste, was passieren kann. Was wichtig ist bei
diesem Buch: Die anderen Firmen, die involviert waren, die wurden alle mit diesen Passagen konfrontiert. Das heisst, sie haben das alle lesen können – und sie haben natürlich auch ein paar Sachen rausgefischt. Hat man da schlaflose Nächte? (wendet sich zu René Beutner, dem CCO von Ringier) René kennt mich relativ gut. Ich bin ein gewissenhafter, fleissiger, präziser Typ, mehr nicht. (beide lachen) Und wir haben uns gesagt: «Wir haben jetzt das begonnen, jetzt werden wir fleissig, gewissenhaft, präzise vorangehen. So, dass uns niemand den Vorwurf machen kann, wir hätten uns besser drum kümmern müssen.» Wir sind ein aufmerksames Unternehmen, auch ein mutiges. Wir haben eine gute Arbeitsethik – und das hilft.

Firmen, die Ihre Strukturen gerade ins digitale Zeitalter überführen, würden Sie also raten: Gut vorbereiten, fleissig sein –  aber dann einfach mutig handeln und Risiken eingehen?​

Das ist ganz wichtig. Ich bin aber nicht hier, um Lektionen zu erteilen, ich kann nur aus Erfahrung schöpfen. Der Grundsatz von Michael Ringier ist: «Ich glaube nicht an Businesspläne, ich glaube an Menschen.» Er handelt auch so. Wenn er die ganzen Grafiken sieht, ist ihm das meistens nicht allzu wichtig. Er versucht, die Menschen, die diese Zahlen verantworten, zu verstehen, zu beurteilen. Es geht also zuerst immer um Menschen. Zweitens, konkreter zurück zu Ihrer Frage: Businesspläne und Szenarien in dieser digitalen Welt, die sich so schnell verändert, sind verdammt schwierig zu erarbeiten und es bringt sowieso wenig, sich an sie zu klammern. Weil Sie in eine unsichere Welt hineinspringen. Aber Sie müssen springen. Wenn Sie nicht springen, dann wissen Sie in vielen Geschäftsmodellen, dass es nur einen Weg geben wird, nämlich den nach unten. Wenn Sie springen, springen Sie immer in eine gewisse Unvorhersehbarkeit, eine noch nicht definierte Welt, weil es keine oder nur wenige Prognosen gibt, wie sich das alles entwickeln wird. Und deshalb ist meine Empfehlung: Sich gut vorbereiten, aber dann auch springen. Und wenn Sie gesprungen sind, dann müssen Sie schwimmen, schwimmen, schwimmen. Genau so war es auch bei jenen, die heute gross sind – und vor noch nicht langer Zeit ein Start-up waren. AirBnB – meine Lieblingsanekdote: Ich durfte damals, als die noch niemand sehen wollte, über einen Kontakt das Unternehmen besuchen. Die hatten damals ein Office mit fünfzehn Leuten. Die haben mich empfangen, waren supernett, haben sich Zeit genommen. Haben sich vielleicht gedacht, ein Schweizer, der wohl investieren möchte. (lacht) Aber ich wollte nur lernen. Ich hätte nie gedacht, dass die mal so gross werden. Aber viel witziger ist: Die Gründer selber haben das nie im Leben gedacht. Warum? Die haben mir damals gesagt: «Schau, wir machen etwas, das eigentlich nicht mehrheitsfähig sein wird. Auf unserer Plattform bieten Menschen Betten und Wohnungen und Badezimmer für Menschen an, die sie gar nicht kennen.» Das kann ja eigentlich nie gross werden, haben die sich gesagt. Und es wurde riesig. Und nicht nur das, es hat die Gesellschaft verändert. Heute ist es sexy und selbstverständlich, fremde Häuser und fremde Wohnungen zu nutzen. Digitalisierung verändert oft nicht nur Geschäftsmodelle, Digitalisierung verändert auch den gesellschaftlichen Habitus. Was wir tun, wie wir etwas tun. Wenn Sie heute beobachten, wie Menschen mit ihrem Smartphone reden, wenn sie etwas wollen oder suchen! Wer hätte gedacht, dass ich irgendwann mit meinem Smartphone rede. Ich rede sogar mit meinem
Auto. (lacht)

Sie hören ja von Nostalgie, von Kollegen, auch von manchen Medienjournalisten schon mal die Frage: «Sollte man als Verlag nicht bei Journalismus und Print bleiben, wenn einen das gross gemacht hat? Verrät man sonst nicht seine DNA?» Sagen Sie uns bitte: Wie ist es mit der DNA von Ringier? Kann man sich vorstellen, dass man irgendwann nicht mehr in Medien investiert, diese nicht mehr quersubventioniert?

Das waren viele Fragen, auch faire Fragen, ich versuche, kurz und knapp zu antworten. Wir haben immer noch 140 Medienmarken unter unserem Dach, damit ist schon mal viel dazu gesagt, ob Ringier eigentlich noch ein Medienunternehmen, ob uns Journalismus noch wichtig ist. Natürlich ist es das. Zweitens ist es mir eigentlich egal, ob unser Journalismus auf Papier oder digital stattfindet. Bedeutend ist, dass es guter Journalismus ist, dass er sein Publikum findet. Wo er das Publikum findet, ist sekundär. Drittens möchte ich sagen, dass Michael Ringier und ich wenig von Quersubventionierung halten. Eine Publikation wird nach ihrer Leistung beurteilt, und quersubventioniert sollten Geschäfte grundsätzlich nicht werden – auch Journalismus nicht. Was ich aber sagen würde: Wenn ein Haus genug Substanz hat, in digitalen Journalismus oder in Journalismus generell zu investieren, also Neues zu kreieren, dann hilft das natürlich. Blick TV ist deshalb ein typisches Ringier-Thema. Es ist ein unternehmerisches Thema. Wir wissen nicht, wie es rauskommen wird. Wir können aber investieren, weil das Unternehmen Substanz hat, dies zu tun. Digitaler Journalismus ist heute teurer als Printjournalismus. Wenn Sie Druck und Vertrieb und Papier zusammenzählen bei einer Publikation wie dem «Blick» und alle digitalen Investitionen in einem Jahr bei der «Blick»-Gruppe dagegenhalten – also Plattform, Datenanalyse, Bewegtbild –, dann ist digitaler Journalismus teurer. Deshalb braucht es die Substanz. Alle Journalisten, die bei Medienunternehmen arbeiten, die diversifiziert sind, können ruhiger schlafen als jene, die in einem nicht diversifizierten Medienunternehmen tätig sind.

Was man als Medienmacher natürlich immer mitdenken muss, egal ob man sich online oder offline bewegt, ist eine Ökonomie der Aufmerksamkeit. Die Menschen scheinen immer weniger Zeit zu haben, aber immer mehr Input, der Ihre Konzentration fordert.

Das stimmt, aber das ist nicht nur bei der Medienindustrie so. Wenn Sie sich die Tagesstruktur eines Menschen heute in der Schweiz ganz vereinfacht anschauen und den gleichen Menschen nehmen, sagen wir, zehn Jahre früher – wie sich die Ökonomie seines Zeitmanagements respektive wofür er Zeit investiert, verändert hat –, das ist enorm. Ein Indiz ist die «Bildschirmzeit», die man vom iPhone aufzeichnen lassen kann. Schauen Sie regelmässig die Analyse Ihrer Bildschirmaktivitäten auf Ihrem iPhone an… Selbstredend gibt es es unterschiedliche Typen von Usern. Die einen spielen sieben Stunden Fortnite, die anderen schauen zwölfmal auf die Wetter-App, andere scrollen sich durch endlose Social Media Feeds und Profile. Der Kampf um die Aufmerksamkeit hat sich radikal verändert, ja zugespitzt – und das ist eine zentrale Herausforderung, die wir alle haben. Aber das gilt auch für den Laden da vorne an der Bahnhofstrasse. Oder für TV: TV ist eigentlich stets besser geworden, seit meine Eltern damals immer nach dem Abendessen vor den Fernseher gesessen sind. Aber heute haben Sie zehn Optionen, was Sie nach dem Abendessen machen können. Nur schon mit diesem kleinen Gerät, das jeder von uns in der Tasche hat.

Und einzuschätzen, wofür die Menschen sich entscheiden werden, wird immer schwieriger.

Jetzt schliesst sich der Kreis zum Beginn unseres Gesprächs. Die Digitalisierung bringt neue Dinge und verändert dadurch die Art und Weise, wie wir uns bewegen, beschäftigen, TV schauen, im Tram sitzen, in die Ferien gehen, einkaufen, zum Arzt gehen, Essen bestellen, Freunde finden, ein Haus oder ein Auto kaufen, neue Marken entdecken. Es ist so komplex, einzuschätzen, was die Gesellschaft wie verändert und welche Folgen das hat. Klar ist nur: Es geht alles deutlich schneller als je zuvor. Wenn autonomes Fahren
mehrheitsfähig wird, dann werden in der ersten Phase alle im Auto sitzen und bewundern, was das Auto alleine alles so macht – Fotos und Videos aufnehmen… und nervös sein. Nach zwei, drei Jahren ist das nicht mehr lustig und spannend. Dann wird mal wohl lesen, essen, digital einkaufen oder was auch immer.

Wenn Sie sich jetzt etwas wünschen könnten, wenn Sie auf eine Zukunft blicken, wo die digitale Transformation immer weiter voranschreitet – was wäre dann Ihre Vorstellung von ideal genutzten Chancen in der Schweiz?

Das ist eine komplexe und sehr philosophische Frage. Wenn wir die Digitalisierung richtig nutzen, wird sie für uns alle praktisch in jeder Lebenssituation eine Verbesserung bringen. Mehr Zugang zu Wissen, höhere Effizienz ganz generell, noch besser gefertigte Produkte, neue Lösungen bei Krankheiten und so weiter. Ich würde beinahe sagen: eine bessere Welt in fast jeder Beziehung. Aber wie überall, gibt es eine Kehrseite und eine Gefahr. Einige Tendenzen sehen wir jetzt schon. Probleme von Jugendlichen, die psychologischer Natur sind und durch Social Media entstehen, weil Social Media das eigene Sein massivst tangieren kann. Solche Themen sind die Kehrseite der Medaille. Dass Menschen – wieder ganz banal – zu sechst zum Abendessen gehen und kaum mehr kommuniziert wird, weil jeder an seinem Handy mit irgendwelchen Dritten kommuniziert. Politische Beeinflussung – wir haben es erlebt bei der Wahl von Trump: Ein Drittel aller Tweets mit dem Hashtag «Make America great again» waren Bots, Computerprogramme… Auf der einen Seite gibt es diese unglaublichen Chancen und Verbesserungen, an die ich glaube. Auf der anderen Seiten gibt es auch Gefahren und Schattenseiten der Digitalisierung.

Wollen wir trotzdem mit einer positiven Note schliessen?

Ein zentrales Thema ist – und wird immer mehr: Aus- und Weiterbildung. Wir alle sollten bereit sein, jeden Tag zu lernen, sich in diese Lernkurve, und die wird eher steiler, hineinzubegeben. Am Digitaltag am 3. September werden wir die Initiative «lifelong learning» lancieren. Denn nicht nur jeder Einzelne soll die Bereitschaft aufbringen, sich weiterzubilden. Auch die Arbeitgeber, egal ob es eine kleine Firma oder ein grosses Unternehmen ist, egal in welcher Branche oder Industrie, sind aufgefordert, ihren Mitarbeitenden dafür Chancen, Budget und Zeit zur Verfügung zu stellen. Wir alle sind uns bewusst: Das ist einfach gesagt, aber damit noch lange nicht umgesetzt. Daran arbeiten wir.