Süddeutsche Zeitung

| 26.05.14 | Von Caspar Busse

«Die Macht von Google ist exorbitant»

Der Journalist Marc Walder ist Chef von Ringier, dem größten Medienunternehmen der Schweiz. Er spricht über Tennisspiele mit dem Verleger, Handschläge mit Döpfner und die Gefahr durch das Internet.

«Nach einem halben Jahr durfte ich die ersten 40 Zeilen über eine bulgarische Tennisspielerin schreiben, mit meinem Kürzel. Das habe ich mir dann zu Hause aufgehängt.»
Marc Walder, CEO Ringier AG

Er ist einer der wichtigsten Medienmanager der Schweiz: Marc Walder, 48. Er macht einen sportlichen Eindruck – kein Wunder, denn seine eigentliche Leidenschaft gilt dem Tennis. Walder war früher Profi; er spielte im Schweizer Nationalkader und bestritt weltweit Turniere der ATP World Tour Finals. Ganz nach oben schaffte er es dann beim Züricher Verlag Ringier. 

MONTAGSINTERVIEW

SZ: Herr Walder, Sie haben Ringier grundlegend umgebaut. Führen Sie überhaupt noch eine Medienfirma?

Marc Walder: Im Herzen, aber auch im Geist sind wir ein journalistisch getriebenes Medienunternehmen geblieben. Unser Verleger Michael Ringier ist Journalist, und ich bin Journalist. Aber wir diversifizieren mit aller Konsequenz und Härte. Etwa 55 Prozent unseres Umsatzes entfällt heute noch auf klassische Verlagsaktivitäten, knapp 30 Prozent auf digitale Geschäfte, gut 15 Prozent auf den Bereich Entertainment.

Das heisst aber auch: Journalismus ist nur noch die Hälfte Ihres Geschäftes.

Stimmt. Wir haben viel investiert – übrigens aus eigener Kraft -‚ weil niemand weiss, wie lange man noch vom klassischen Verlagsgeschäft, also von Zeitungen, Zeitschriften und Druckereien, allein leben kann. Etwa 1,4 Milliarden Franken haben wir in neue Geschäfte investiert – in Internetportale, Online-Anzeigenanbieter, in E-Commerce, Ticketing, in Sportvermarktung, in Radio. Wir schlafen ruhig. Man kann sagen: Wir haben uns von einem klassischen Verlag zu einer operativ geführten Medienholding entwickelt.

Sind Sie da schon am Ende?

Michael Ringier, dem das Unternehmen zusammen mit seinen beiden Schwestern Evelyn und Annette gehört, und ich hatten vor knapp zwei Jahren ein längeres Gespräch. Damals sagten wir uns: «Wir sind jetzt durchs Gröbste durch, jetzt kommen ruhigere Zeiten.“

Es kam anders.

Ja, auch 2013 war wieder ein Jahr mit enormem Rhythmus. Wir haben die Scout-24-Aktivitäten in der Schweiz voll übernommen, wir haben das Geschäft in Tschechien verkauft und viele kleinere Transaktionen getätigt. Das Tempo bleibt hoch. Konstant bleibt lediglich die Inkonstanz.

Besteht nicht die Gefahr, dass Sie sich dabei verzetteln?

Wir haben auch deshalb unsere Strategie geschärft, setzen auf drei Säulen: Verlagswesen, also Publishing, Entertainment und digitale Geschäfte. Es gäbe noch viele Opportunitäten, aber diese Breite an Geschäften reicht.

Bremst da Michael Ringier? Sind Sie derjenige, der unbedingtwill, und der Verleger als väterlicher Freund hält Sie zurück?

Das ist kein schlechtes Rollenmodell, die Ruhe und Lebensweisheit von Michael Ringier ist wichtig. Manchmal sagt er: Damit sollten wir es nunbewendenlassen. Andererseits ist beachtlich, wie viel Speed, wie viel Geschwindigkeit dieses Unternehmen entwickelt hat. Die Harvard-Universität hat vor zwei Jahren eine Fallstudie über Ringier gemacht. Zwei Dinge haben die besonders beeindruckt: der Mut zur Transformation und die Geschwindigkeit.

Michael Ringier ist Ihr Förderer. Sie kennen sich schon lange, haben gemeinsam Tennis gespielt…

Michael Ringier war und ist ein sehr guter Tennisspieler.

Sie waren selbst zehn Jahre lang Tennis- Profi. Spielen Sie heute noch gemeinsam?

Wenig, seit drei Jahren eigentlich nicht mehr. Wir haben erst kürzlich gesagt, wir sollten wieder mehr Tennis spielen.

Wer gewinnt normalerweise?

Michael ist ungemein fit für seine 65 Jahre, er ist Langstreckenläufer, hat mehrmals am New York Marathon teilgenommen. Er ist auch exzellenter Golfspieler mit Handicap 14. Aber ich würde immer noch gewinnen. Eines unserer letzten Spiele war übrigens ein Doppel, das wir gewonnen haben: Wir sind gegen Gerhard Schröder und (den Tennisspieler) Ilie Nästase angetreten. Der war mal die erste Nummer eins der Welt.

Wer? Gerhard Schröder?

(Lacht.) Nein, Nästase. Der frühere Bundeskanzler Schröder ist ein Berater von uns. Wir haben zwei wichtige Persönlichkeiten, die für uns arbeiten: Gerhard Schröder und Ottmar Hitzfeld. Schröder kümmert sich vor allem um die politischen Belange, gerade in Osteuropaund in Asien. Und Ottmar berät mich rund um die Erweiterung unserer Aktivitäten bei der Sportvermarktung. Ringier besitzt beispielsweise sämtliche Marketingrechte der ersten beiden Schweizer Fussballligen. Man könnte also sagen: Wir brauchen kein Boston Consulting und kein McKinsey, wir haben Schröder und Hitzfeld.

Wie eng ist Ihr Kontakt zu Michael Ringier, wie gross ist sein Einfluss?

Wir haben unsere Büros nebeneinander, aber Michael ist viel irgendwo auf der Welt unterwegs, vor allem als Sammler zeitgenössischer Kunst. Er hat eine der grössten Sammlungen moderner Kunst weltweit. Unser Verhältnis kann man als unkompliziert, kollegial und vertrauensvollbezeichnen. Wir schicken uns täglich Nachrichten, oft via SMS oder den Blackberry Messenger. Ist er in Zürich, treffen wir uns eher spontan zum Kaffee auf der Terrasse.

Wie laufen solche Gespräche?

Wichtige Sitzungen mit Michael Ringier dauern oft nicht länger als 20 Minuten, dann fällt eine Entscheidung. Diskussionen sind stets unternehmerisch getrieben. Er möchte nicht Excel Sheets und Businesspläne für zehn Jahre sehen. Er möchte die Geschäfte verstehen, er möchte die Menschen kennenlernen, die diese Geschäfte führen. Schon seit Jahren hält er sich an seinen Vorsatz: Ich entscheide nichts gegen meinen Bauch. Ein guter Vorsatz.

Michael Ringier hat Sie einst auch in das Unternehmen gebracht, oder?

(Lacht.) Eigentlich musste ich aus der Not einen richtigen Beruf lernen, weil ich mit dem Tennisspielen nicht genug verdient habe. So bin ich Journalist geworden. Eigentlich ist Heinz Günthardt schuld, der lange Coach von Steffi Graf war. Ich hatte ihn damals gefragt: «Ich bin fertig mit Tennis. Was würdest du tun? Eine Tennisschule aufmachen?“ Ich hatte ja einen guten Namen. Günthardt aber sagte mir: „Beginn ganz unten. Mach was ganz Neues.“Also habe ich mich als Volontär bei Ringier beworben.

Welche Rolle spielte Michael Ringier?

Michael Ringier hat mich zum damaligen Personalchef geschickt, und ich habe für 1300 Franken im Monat angefangen. Zunächst musste ich im Zeitschriftenverlag die Präsentation der Vertriebsleute kleben. Ein Jahr später bin ich in die Sportredaktion von Blick gegangen. Nach einem halben Jahr durfte ich die ersten 40 Zeilen über eine bulgarische Tennisspielerin schreiben, mit meinem Kürzel. Das habe ich mir dann zu Hause aufgehängt. Ich denke, ich war fleissig und zuverlässig.

Und Sie haben mit dem Verleger Tennis gespielt.

Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen. Bald hatte ich die Verantwortung für die Schlussredaktion bekommen. Bis Mitternacht musste ich dableiben und habe dannjeweils die letzte Strassenbahn nicht mehr erreicht, musste also quer durch Zürich mit dem Fahrrad fahren. Beim Tennisspielen habe ich dann einmal zu Michael Ringier gesagt: «Ich brauche dringend einen Schein für die Tiefgarage, damit ich mit dem Auto kommen kann.“‚Seine Antwort war: „Da kann ich leider nichts machen, da musst du mit den zuständigen Stellen sprechen.“ Habe ich dann getan.

Und? 

Die haben mich eiskalt abblitzen lassen.

Jetzt sind Sie ganz oben. Mathias Döpfner, der Chef der Axel Springer AG, hat einen radikalen Schnitt gemacht, hat Regionalzeitungen und Traditionsblätter wie «Hörzu» verkauft. Kann man sich vorstellen, dass irgendwann Ringier auch den «Blick», die grosse Schweizer Boulevardzeitung, aufgibt?

Nein, Ringier ohne Blick kann ich mir nicht vorstellen. Blick, Sonntags-Blick, Blick am Abend und Schweizer Illustrierte, das ist unser Kern, das ist unser Herz. Und das sind übrigens nach wie vor sehr profitable Objekte.

Die spüren doch auch die Medienkrise, oder?

Die Tageszeitungenhabenin denvergangenen Jahren die Erosion gespürt, die Zeitschriften deutlich weniger, die hatten 2013 sogar das beste Jahr seit Langem. Die Schweizer lllustrierte beispielsweise, die ja für Deutsche schwer zu fassen ist – sie ist wohl eine Art Mischung aus Bunte und Stern – läuft weiterhin wunderbar.

Sie haben vor Kurzem sogar eine Tageszeitung gekauft. Warum?

Wir haben Le Temps ganz übernommen, die relevanteste Zeitung der französischsprachigen Westschweiz. Wir besassen bereits 50 Prozent, jetzt haben wir 100 Prozent. Bei aller Diversifikation glauben wir an starkejournalistische Marken.

Wie lange wird es noch Zeitungen geben?

Als Steve Jobs damals das iPad herausbrachte, hiess es, von nun an wird alles ganz schnell gehen. Doch die Nutzungsgewohnheiten von Menschen verschieben sich viel, viel langsamer.

Verdienen Sie denn im Internet Geld?

Das bleibt die grosse Herausforderung für die herkömmliche Medienindustrie. Viele unserer journalistischen Portale verdienen heute Geld, nicht alle. Aber gerade mit Kleinanzeigen in den Bereichen Stellenmarkt, Irimobilien oder Automobile verdienen sie heute richtig viel Geld. Weil das einfache und effiziente Angebote sind. Ich gebe Ihnen ein persönliches Beispiel: Als wir vor drei Jahren unser privates Haus verkaufen wollten, haben wir eine Anzeige in der Neuen Zürcher Zeitung geschaltet. Das hat vielleicht 300 Franken gekostet für fünf Zeilen Es kamen drei Bewerbungen, sehr seriöse. Denen habenwir das Haus gezeigt, aus verschiedenen Gründen haben die drei abgesagt. Dann habe ich es auf unserer eigenen Plattform versucht, auf Immoscout 24.

Das war billiger. Und?

Es kostete weniger als die NZZ-Anzeige. Aber viel wichtiger: Da waren Bilder zu sehen, da war ein Grundriss zu sehen, alles direkt verlinkt mit meiner E-Mail. Es kamen 250 Bewerbungen

Das wollten Sie doch dann auch nicht!

Das wollten wir auch nicht. Aber der Service ist für den Nutzer durch das Internet um ein Vielfaches grösser geworden. Alle profitieren. Wir haben das Haus dann übrigens verkauft.

Aber wie wollen Sie in Zukunft guten Journalismus finanzieren?

Journalismus darf nicht querfinanziert oder subventioniert werden. Das wäre Mäzenatentum, und das wäre katastrophal. Journalismus muss sich selbst tragen. Die Publikationen, die wir haben, erwirtschaften in einem zunehmend schwierigeren Umfeldimmernochgute Margen, aber grösser werden die in der Regel nicht.

Trotzdem haben Sie keine Pläne für Bezahlinhalte im Internet. Warum?

Es gab einmal einen Handschlag zwischen Mathias Döpfner und mir auf einem Flug nach Warschau. Springer hatja digitale Abo- Modelle für Welt und Bild eingeführt. Ich habe mit Mathias abgemacht, dass wir das bei Ringier ebenfalls tun. Und zwar zeitgleich mit Springer. Diese Abmachung habe ich gebrochen. Wir haben es nicht gemacht.

Untypisch für einen Schweizer.

Vielleicht auch typisch, weil sehr pragmatisch. Ich bewundere, was Springer bei Bild macht. Es wird aber schwierig bleiben, digitale Abo-Modelle für Boulevardmedien zu etablieren. Die Alternative ist immer nur einen Klick entfernt. Abo-Modelle im Internet werden vor allem bei Publikationen im oberen Segment eine Chance haben. Wir halten also vorläufig am Reichweitenmodell fest. Möglichst viele User ermöglichen möglichst viel Werbeumsatz. Unsere Bezahlmodelle sind jetzt erst einmal im Kühlschrank.

Hat sich Döpfner schon beschwert, dass Sie Ihr Versprechen nicht einhalten?

Mathias ist ein grossräumig denkender Mann und hat das mit einer kleinen Verstimmung zur Kenntnis genommen, aber er sieht darüber hinweg.

Sehen Sie Google wie Döpfner als grossen Feind der Medienunternehmen?

(Überlegt.) Google ist ein frenemy, ein Freind sozusagen. Schauen wir es einmal nüchtern an: Die Marktmacht von Google ist – ich wähle dieses Wort bewusst – exorbitant. Weltweit kontrollieren die rund 70 Prozent des Internets im Bereich Suche. In den USA generierte Google 2013 mehr Werbevolumen als alle US-Zeitungen zusammen. Und ich spreche nur von Google. Deren Tochterfirmen lasse ich mal beiseite. Kaum je gab es in einer Industrie ein Unternehmen, das derart marktdominant war. Schauen wir zurückauf 2006: Damals durfte Springer ProSieben Sat.1 nicht übernehmen – wegen «zu starker wirtschaftlicher Konzentration im Medienmarkt». Im Vergleich zur Marktmacht von Google heute wäre das damals ja beinahe ein Nischenspieler gewesen.

Was ist die Konsequenz?

Die Kartell-Theorie, die wirbis dahin kannten, ist wohl überfordert mit dieser Marktdominanz, einer historischen Marktdominanz. Demzufolge gilt es, diese Kartell-Theorie der neuen Realität anzupassen. Alles andere wäre eine Kapitulation.

Marc Walder, 48, absolvierte nach seiner Zeit als Tennisprofi ein Volontariat beim Ringier-Verlag und machte bald Karriere. Er war Chefredakteur der «Schweizer Illustrierte“ und des «Sonntags- Blick. 2008 stieg er in die Konzernleitung auf, seit April 2012 ist er Vorstandsvorsitzender. Ringier wurde 1833 gegründet und befindet sich noch immer in Familienbesitz.

Das Unternehmen ist in 14 Ländern aktiv, setzte 2013 mehr als eine Milliarde Schweizer Franken um und beschäftigt 7500 Mitarbeiter. Mit Axel Springer betreibt Ringier ein Gemeinschaftsunternehmen in Osteuropa.