Marc Walder ist seit April 2012 Chief Executive Officer von Ringier. Seine berufliche Laufbahn in der Gruppe begann er im Jahr 1991 als Journalist, nachdem er zuvor acht Jahre lang als professioneller Tennisspieler der ATP-Tour erfolgreich war. Nach Abschluss der Journalistenschule von Ringier wechselte Walder in die Redaktion der Blick-Gruppe. Im Jahr 2000 wurde er zum Chefredakteur der Schweizer Illustrierten ernannt. 2007 wurde Walder Chefredakteur des SonntagsBlicks und übernahm darüber hinaus die redaktionelle Leitung der Blick-Gruppe. Im September 2008 stieg er zum CEO von Ringier Schweiz und Deutschland auf. Im gleichen Jahr absolvierte Marc Walder das Advanced Executive Management Program der Harvard Business School. Er ist ferner Gründer der Standort-Initiative digitalswitzerland, der über 130 Schweizer Grossunternehmen und Institutionen angeschlossen sind.
Sphere: Digital Switzerland, dessen Gründer Sie sind, existiert seit nunmehr drei Jahren. Auf welche bisherigen Leistungen sind Sie besonders stolz?
Marc Walder: Als wir digitalswitzerland 2015 im Rahmen des Weltwirtschaftsforums in Davos gegründet haben, sassen nur etwa zehn Unternehmenschefs am Tisch. Wenn Sie mich damals gefragt hätten, wo ich mich in drei Jahren sehe, wäre ich mit der Aussicht auf rund 50 Mitglieder schon zufrieden gewesen. Letztendlich haben wir 130 Mitglieder überzeugen können – mehrere Grossunternehmen, vier Kantone und renommierte Institutionen, darunter das Weltwirtschaftsforum. Das ist ein riesiger Erfolg, der für das Ökosystem der Schweizer Startups, den Rechtsrahmen und die Beziehungen zu den Behörden sehr förderlich ist.
Welche langfristigen Ziele wollen Sie mit digitalswitzerland erreichen?
Ein Hauptziel ist erstens die enge Zusammenarbeit mit den Behörden, Die Wirtschaftsakteure müssen durch die exekutiven Organe und den Gesetzgeber unterstützt werden. Die politische Agenda und die Anforderungen der Wirtschaft müssen miteinander in Einklang gebracht werden, damit wir uns auch in Zukunft weiterentwickeln können. Zweite Priorität ist die Stärkung des Ökosystems der Startups in der Schweiz, damit unsere Jungunternehmer nicht nach Israel, Berlin, Barcelona oder sogar in das Silicon Valley abwandern, wo Schweizer Kapital heute keine Mangelware ist. Wenn unsere Mission glückt, kann das Kapital genauso gut auch in der Schweiz bleiben. Und abschliessend möchte ich noch einen dritten Punkt hervorheben – die Zivilgesellschaft. Die Schweizer Bürger müssen die Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung erkennen. Deshalb veranstalten wir die Journée du Digital. Wie bereits bei SwisslD wollen wir mit unseren Landsleuten in einen Dialog treten, damit sie verstehen, wie die Digitalisierung ihr Leben verändern wird und welche Vorteil sie ihnen im alltäglichen Leben wie beispielsweise bei Behördengängen bringt.
Wie die Erfolgsgeschichte von Skype oder auch Spotify zeigen, sind die skandinavischen Länder uns im Bereich Digitalisierung weit voraus. Wo befindet sich die Schweiz in Vergleich dazu?
Das EMD hat ein internationales World Competitiveness-Ranking entwickelt, eine Rangliste der wettbewerbsfähigsten Länder der Welt mit Schwerpunkt auf Digitalisierung. 2018 liegt die Schweiz auf dem fünften Platz – nach den USA, Singapur, Schweden und Dänemark. Noch vor einiger Zeit lag sie auf Rang Die Schweiz hat gegenüber anderen Ländern somit Fortschritte gemacht. auch wenn noch einige Schwachstellen vorhanden sind. Dabei denke ich beispielsweise an EVoting-Partizipation. Infrastrukturen oder die noch immer sehr niedrige Kapitalisierung der Unternehmen, die im digitalen Sektor tätig sind.
Welche Schweizer Sektoren haben bei der Digitalisierung die grössten Fortschritte erzielt?
An erster Stelle stehen die Medien- und Telekommunikationssektoren, denn diese beiden Branchen waren bereits sehr früh mit starken Disruptionen konfrontiert. An zweiter Stelle kommt der Einzelhandel, der schnell auf den Erfolg von E-Commerce-Plattformen reagieren musste, gefolgt vom Finanzsektor mit den Banken einerseits und den Versicherungen andererseits. Am wenigsten von dieser Entwicklung betroffen ist derzeit noch der Pharmasektor, der andere Anforderungen hat, Pharmaunternehmen sind überwiegend im B2B-Segment tätig und konzentrieren sich deshalb auf die Analyse von Daten und die Automatisierung verschiedener Funktionen. Medienunternehmen, Banken, Versicherungen. Einzelhandel und Telekommunikationsgesellschaften arbeiten dagegen mit einem B2C-Modell und müssen ihre Kundenbeziehungen folglich immer wieder aufs Neue in Frage stellen. Sie setzen stärker auf Digitalisierung. weil sie sonst Gefahr laufen, dass ihre Kundenbeziehungen durch neue Marktteilnehmer gefährdet werden.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Schweizer Banken in punkto Kundenbeziehungen?
Ich habe den Eindruck, dass die grossen Banken wie UBS, Credit Suisse und Raiffeisen sich über die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, absolut im Klaren sind. Ihre Generaldirektionen haben den Handlungsbedarf erkannt und reagiert. Allerdings haben sie meines Erachtens noch nicht die richtigen Lösungen gefunden, vor allem im Hinblick auf das Kunden-Interface. Diesbezüglich liegen die schwierigsten Jahre noch vor ihnen.
Und wie sieht es bei den Privatbanken aus?
Der Austausch mit den Privatbanken ist weniger intensiv denn in ihren Augen ist digitalswitzerland keine wirklich relevante initiative, was ich bedauere. Aus meiner Sicht sind sie etwas schüchtern, vielleicht begreifen sie etwas zu langsam in der Erkenntnis, dass ihre Kunden höhere Erwartungen an digitale Anwendungen haben. Immerhin haben da sie sich die Kunden bereits in anderen Branchen daran gewöhnt haben.
BNP Paribas Suisse von der Mitgliedschaft bei digitalswitzerland zu überzeugen, war nicht schwierig.
Ja, das stimmt. Für Schweizer Privatbanken wäre es eine gute Möglichkeit. ihr Alleinstellungsmerkanal zu konsolidieren, indem sie Innovation und digitale Expertise in ihrem Know-how, ihrem Erbe, ihrer Kultur und ihrer legendaren Servicequalität verankern.
Wie können Privatbanken am besten von digitalswitzerland profitieren?
Sie würden zunächst Zugang zum Fintech-Ökosystem erhalten, das von digitalswitzerland unterstützt wird. Gemeinsam mit Startups, die originelle Lösungen entwickeln, und Partnern wie dem Inkubator Kickstart könnten sie bei zahlreichen Projekten mitarbeiten. Dieses Konzept der Partizipation ist mir sehr wichtig, denn nur Mitglied von digitalswitzerland zu werden, reicht nicht aus: Man muss sich einbringen. Die Mitgliedschaft ist nämlich nur so viel wert wie der Einsatz, den sie erbringen, und die Mitarbeiter, die sie für die gewählten Projekte freizustellen bereit sind.
Wie hat beispielsweise Ringier von seiner Mitwirkung bei digitalswitzerland profitiert?
Als innovatives Unternehmen wahrgenommen zu werden, das in der Lage ist, die digitale Wende zu meistern, war für uns zweifellos sehr wichtig. Doch in der Praxis haben wir mit unserem Engagement bei digitalswitzerland nie ein wirtschaftliches Ziel verfolgt. Wir bringen sicherlich mehr ein, als für uns herausspringt Dennoch bin ich überzeugt, dass es im allgemeinen Interesse liegt, ein robusteres digitales Ökosystem in der Schweiz zu schaffen, das die für seine Expansion notwendigen Mittel erhält. Im Übrigen war die Mitwirkung anderer Medienunternehmen wie NZZ oder SSR bei diesem Abenteuer für mich eine grosse Freude und Genugtuung.
Wo lag die grösste Komplexität im digitalen Wandel von Ringier?
Das war die Entscheidung, Nägel mit Köpfen zu machen! 2007, als wir mit diesem Wandel begonnen haben, hatte Ringier gerade eines der besten Jahresergebnisse seiner Unternehmensgeschichte erzielt, weshalb sich die interne Mobilisierung für das Digitalisierungsprojekt auf allen Ebenen besonders schwierig gestaltete. Aber das waren natürlich nicht die einzigen Herausforderungen. Es müssen die richtigen Mitarbeitendenr gefunden werden, die diesen Wandel vorantreiben, der einen enormen Arbeitsaufwand darstellt. Es gibt keine Wahl: Man muss sich aus seiner Komfortzone herauswagen und wieder ganz unten an der Lernkurve anfangen. Hinsichtlich der Finanzierung brauchten wir Aktionäre, die bereit waren. Risiken einzugehen, ohne im Gegenzug handfeste Garantien zu erhalten. Ringier hat inzwischen bereits zwei Milliarden Franken in die Digitalisierung investiert! Für unser Unternehmen ist das eine gewaltige Summe. Zumal es sich ja um eine Dauerbaustelle handelt, die nie ganz fertig wird. Anfangs hatten wir geglaubt, wir könnten Ringier auf einen Schlag umstellen und dann damit arbeiten. Das war eine grobe Fehleinschätzung. Die Digitalisierung erfordert ständige Wachsamkeit, man kann sich nie zurücklehnen. Die Kompetenzen, die heute erforderlich sind, waren noch vor zwei Jahren kein Thema. Wir müssen stets auf dem allerneuesten Stand für Datenanalyse, Stimmerkennung oder auch in Bezug auf die Verbreitung unserer Inhalte über die sozialen Netzwerke sein. Alle diese Bereiche sind für uns potenzielle Game Changer, die wir nicht unterschätzen dürfen.
Welche Elemente bestimmen einen erfolgreichen digitalen Wandel?
Darauf gibt es für mich nur eine kategorische Antwort: You have to be courageous you have to be fast, you have to be radical. And it will cost a lot of money. Für Ringier arbeiten 7’000 Mitarbeitender. Ich glaube nicht, dass es möglich sein wird, sie alle in die neue Ära mitzunehmen. Man muss eine Atmosphäre der Dringlichkeit im Unternehmen schaffen und klare Ansagen hinsichtlich der Richtung machen, die man einschlagen will und dabei gegenüber Aktionären und Mitarbeitern etwas provokativer auftreten. Man muss sofort reagieren, kompromisslos und entschlossen sein und – auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen – sich mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen umgeben. für die Lernbereitschaft und Lernwilligkeit selbstverständlich sind, und die daher jeden Tag aufs Neue dazulernen.