Schweizer Journalist

| 01.09.14 | Von Markus Wiegand

«Mich stört die Bösartigkeit und Häme»

Michael Ringier ist der Verleger des Jahres. Im grossen Zukunftsinterview mit dem «Journalisten» sagt er, wie es mit seinem Medienunternehmen weitergeht, was die Branche erwartet und warum er auf Facebook ein Hund ist.

«Gerüchte sind immer interessanter als die Realität.»
Michael Ringier, VR-Präsident Ringier AG

Herr Ringier, Sie sind im März 65 Jahre alt geworden und haben die Pensionsgrenze erreicht. Warum arbeiten Sie noch?

Michael Ringier: Weil es Spass macht.

Was genau macht Spass am Verlegersein?

Das Mediengeschäft an sich macht Spass. Es geht um Politik, Sport, Glamour. Und in all diesen Bereichen tummeln sich spannende Menschen. In einem Medienunternehmen sind Sie in dieser Beziehung wirklich verwöhnt.

Sie sind seit rund 40 Jahren im Journalismus und seit 30 Jahren im Verlagsgeschäft. Da hat man doch eigentlich alles schon mal gesehen, oder?

Nein, überhaupt nicht! Ich sammle ja auch zeitgenössische Kunst. Auch da mache ich etwas, bei dem es keine einzig wahre Antwort gibt. Sie müssen sich auf Ihr Urteil, das Urteil anderer oder auf das Bauchgefühl verlassen. Das hat mich immer fasziniert.

Dem «Sonntagsblick» haben Sie kürzlich gesagt: «Als Verleger beschäftige ich mich ständig mit den Problemen von heute und morgen.» Das klingt nicht gerade nach einem sehr freudvollen Arbeitsalltag.

Es geht dabei um Fragen und um Dinge, die mich interessieren. Ich rede nie von früher, mich interessiert nur Heute und Morgen. Und ungelöste Probleme sind in der Regel interessanter als die gelösten. Eine Lösung macht für einen kurzen Moment Freude, aber wenn dann kein ungelöstes mehr kommt, was machen Sie denn dann den ganzen Tag?

Ehrlich gesagt frage ich mich das auch so: Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag?

Das ist eine berechtigte Frage (lacht), meine Kinder haben mich das auch schon gefragt. Ich habe das Privileg, mich ständig informieren und weiterbilden zu können. Das heisst: Der Grossteil meiner Zeit geht dafür darauf, zu lesen, mich zu informieren und mit Menschen zu reden. Ein Teil der Zeit gehört der Kunst. Ich kann ständig aufnehmen, das empfinde ich als riesiges Privileg.

Wenn Ihnen Ihre Rolle als Verleger so viel Freude macht, können Sie ja noch lange, möglicherweise bis ins hohe Alter bleiben. Es gibt genug Beispiele dafür.

Das kommt auf die interne Situation an. Ich werde, egal wie alt ich bin, immer wahnsinnig viel tun. Ob die Firma dann noch im Zentrum steht, das lassen wir mal offen. Stellen Sie die Nachfolgefrage noch mal in fünf Jahren. Wobei die Altersfrage heute sowieso eine andere ist als früher. Ich bin einfach keine 65.

Wie alt fühlen Sie sich denn?

Wie 53. (lacht) Auch physisch. Wenn ich mich erinnere: Als Kind war für mich ein 65-Jähriger steinalt, da habe ich schon den Grabstein daneben gesehen. Das ist heute komplett anders geworden. Ich kann meinen Kindern immer noch erklären, wieso ihre Computer nicht funktionieren.

Das ist aber ungewöhnlich, meistens Iäuft es umgekehrt.

Gut, meine Kinder zeigen mir dann wieder, wo ich was im Netz finde. Aber ich kann das alles halbwegs ordentlich.

Ihr Neffe Robin Lingg (35) ist seit drei Jahren als Verwaltungsrat dabei. Seit vergangenem Jahr arbeitet er auch im Management. Gibt es schon einen konkreten Plan, wann er übernimmt?

Wenn es ihn geben würde, würde ich nicht darüber reden. Warum sollte man ihn damit belasten? Robin soll jetzt in Afrika rumsausen, das macht er mit enormem Engagement. Alles Weitere sehen wir dann.

Der Druck ist aber ohnehin da, denn abgesehen von ihm gibt es offenbar keine Optionen für Ihre Nachfolge als Verleger.

Für uns ist ziemlich beruhigend, dass es eine neue Generation von Aktionären gibt und dass unter denen einer dabei ist, der eine ganze Menge vom Geschäft versteht. Abgesehen davon ist er ein sehr liebenswürdiger und vernünftiger Mensch. Das ist schon mal ganz viel. Ob diese Firma in zehn Jahren noch eine Familiengesellschaft ist? Ja, was weiss denn ich.

Ich dachte immer, dass sei das grosse Ziel.

Nein, um Gottes willen. Wenn das das Ziel ist, dann fangen Sie an, Fehler zu machen. Sie müssen versuchen, möglichst das Richtige für Ihre Firma zu machen, dann haben Sie die grösste Chance, ein Familienunternehmen zu bleiben. Ich weiss nicht, ob eine Firma, deren oberstes Ziel es ist, eine Familienfirma zubleiben, sich mit KKR eingelassen hätte…

…Mitte Juli haben Sie bekannt gegeben, dass KKR 49 Prozent am Geschäft mit den digitalen Rubrikenmärkten etwa für Autos und Immobilien in der Schweiz übernimmt. Die Abkürzung steht für Kohlberg Kravis Roberts & Co. und ist eine Beteiligungsgesellschaft. Im Newsroom des Blick würde man wohl sagen: eine Heuschrecke.

Diese Bild stimmt heute nicht mehr, das war früher das Modell von Private-Equity–Gesellschaften: Sie kaufen sich ein Familienunter— nehmen, in dem alle nur noch über den Anwalt miteinander reden, hauen die Schulden drauf, sanieren es und verkaufen es wieder. Das ist nur noch ein kleiner Teil des Geschäfts, auch weil es immer schwieriger wird, solche Firmen zu finden. Heute investieren Beteiligungsgesellschaften in Wachstumsmärkte, das ist unser Modell. Bei KKR arbeiten ganz tolle Leute, die sehr viel vom Geschäft verstehen und uns jetzt weiterhelfen können. Ob Private Equity in fünf Jahren immer noch der richtige Partner ist, muss man sehen.

Sie haben die Anteile aber auch an KKR verkauft, weil die Zukäufe im digitalen Rubrikengeschäft so teuer sind, nehme ich an. Es ging wohl darum, das Risiko zu teilen, oder?

Absolut, das ist ja klar. In den vergangenen Jahren ist viel Geld in neue Geschäfte geflossen. Ich habe leider nur eine Zeitungsdruckerei und keine Gelddruckerei.

Es heisst, dass Sie in den vergangenen Jahren rund 1,4 Milliarden Franken investiert haben.

Etwa, ja. Und das ist ein ganz schöner Batzen Geld für ein Familienunternehmen. Also müssen wir uns dieses Geld irgendwo herholen. Wir sind ja eher eine konservative Firma, was Finanzen betrifft. Und wir wollten schnell die finanzielle Ausstattung wieder da hin zurückführen, wo wir uns absolut wohlfühlen. Jetzt haben wir wieder Geld für neue Dinge.

Warum gehen Sie überhaupt das Risiko ein?

Weil wir Unternehmer sind. Natürlich habe ich das mit meinen beiden Schwestern als Anteilseigner diskutiert. Am Ende haben Sie nur zwei Optionen. Entweder Sie verkaufen, solange das alles noch sehr werthaltig ist, oder Sie sagen: Augen zu und durch. Verkaufen war keine Sekunde eine Option.

Und dennoch zirkulieren die Verkaufsgerüchte schon ewig, auch gerade wieder. Wie erklären Sie sich das? Gerüchte sind immer interessanter als die Realität. Dazu kommt aber, dass Sie einen Verkauf ja auch nie kategorisch ausgeschlossen haben.

In jeder Geschichte eines Unternehmens kann es Zeiten geben, in denen sich die Umstände dermassen ändern, dass Sie klugerweise sagen: Jetzt müssen wir verkaufen oder fusionieren oder was auch immer. Da gibt es in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte genügend Beispiele. Es könnte sein, dass irgendwann der Moment kommt, in dem man sagen muss: Eine Firma in diesem Geschäft in dieser Grössenordnung, das wird ganz, ganz schwierig.

Das klingt sehr nüchtern. Andererseits gibt es doch auch diese emotionale Komponente. Sie führen Ringier in fünfter Generation. Würden Sie nicht gerne das Unternehmen als eine Art Vermächtnis hinterlassen?

Nein, gar nicht. Wenn schon, würde das eher für meine Kunstsammlung gelten. Aber auch da: Ich sammle doch nicht all die Sachen, damit jemand in 50 Jahren meinen Namen in einem Museum lesen kann.

Sondern?

Es macht einfach unheimlich Spass, sich mit zeitgenössischer Kunst auseinanderzusetzen. Das gilt auch für die Firma. Es ist hochspannend, dieses Unternehmen zu führen. Was könnte ich denn für einen spannenderen Job haben? Ich weiss keinen.

Ich auch nicht.

Warum sollten wir dann verkaufen? Dann sind wir ja nur noch reich, das ist ja grauenhaft.

Ihr Job als Verleger hat aber auch Schattenseiten. Haben Sie Robin Lingg schon gesagt, dass man als Boulevardverleger ein dickes Fell haben muss? Sie müssen sich ständig rechtfertigen für das, was Sie tun.

Es muss Ihnen komplett egal sein, was die anderen Leute über Sie sagen und denken. Wirklich, das geht mir so was von am … vorbei, was da zum Teil geschrieben wird. Ausser, eine Kritik ist wirklich fundiert. Wissen Sie, wenn Sie mit diesen Vorurteilen nicht leben können, dann müssen Sie sich einen anderen Job suchen. Wenn ich früher Interviews gegeben habe, hiess es immer sofort: Sie sammeln doch Kunst, um Ihr Image als Boulevardverleger zu korrigieren. Das fand ich so idiotisch.

Bei manchen Familienunternehmen fühlen sich die Nachfolger in die Pflicht genommen. Wollten Sie diese Rolle als Verleger oder mussten Sie?

Ich bin in die Rolle hineingewachsen. Ich habe mal als junger Mensch Weisswein getrunken und geraucht, ohne beides zu mögen. Seitdem habe ich eigentlich nur noch Dinge gemacht, zu denen ich Lust habe. Sonst sind Sie auch nicht gut. Wissen Sie: Mein Grossvater hat in der Schweiz zum Glück zwei Weltkriege überlebt. Unternehmer sein heisst auch, dass man immer wieder sehr schwere Zeiten durchmacht.

Das klingt jetzt aber doch eher nach Pflichtgefühl.

Ja, aber das gehört auch zu unserem Selbstverständnis, damit bin ich aufgewachsen. Das ist einfach so. Hier arbeiten 7’500 Menschen, mit den Familien hängen vielleicht noch mal 20’000 Menschen mit dran, da versucht man schon das Richtige zu tun. Ich glaube, wir signalisieren durch das, was wir tun, sehr genau nach aussen, was wir denken.

Wenn die Nachfolge ansteht, können viele Unternehmer ja auch nicht unbedingt loslassen. Sind Sie einer, der das kann?

Wenn ich heute hier rausgehe und sage «Aus und vorbei», dann habe ich den Tag trotzdem randvoll. Ich habe so viele Dinge, die ich tun will. Damit habe ich gar kein Problem.

Und wenn das Unternehmen einen völlig anderen Weg nehmen würde?

Dann ist es so. Aber ich werde ja immer mit der Firma verbunden sein. Wenn einer als Aktionär die Familie anführt, sollte er das Unternehmen gut kennen. Deshalb ist Robin Lingg jetzt dabei. Bisher gibt es in der Familie die Abmachung, dass keiner auch operativ beispielsweise als CEO führen sollte.

Warum?

Salopp gesagt: Es sollte nie jemand aus der Familie an etwas schuld sein.

Sondern?

(lacht) Wenn was schiefgeht, rufe ich Marc Walder an und frage, was er für einen Unsinn gemacht hat. Ich habe, abgesehen von einer Phase, in der es einfach nicht anders ging, immer ausgeschlossen, auch CEO zu sein. Dann kann ich ja gleich einen Spiegel auf dem Konferenztisch aufstellen und mit mir selbst reden. Unser Verwaltungsrat hat eine starke Stellung. Das ist wichtig, denn Sie brauchen den institutionalisierten Widerspruch, wenn Sie starke Aktionäre haben.

Egal wer Ringier wie führt, die Herausforderung wird das Digitale sein. Sie haben der «FAZ» mal vor sechs Jahren dazu gesagt: «Wir stochern alle im Nebel.» Ist der Nebel noch dichter geworden?

Nein, der Nebel hat sich gelichtet, das ist eindeutig so. Es gab verschiedene Phasen in der Entwicklung. Am Anfang nimmt man arrogant Notiz von den Veränderungen und sagt: Das interessiert mich alles nicht. Dann merkt man: Ui, da ist mehr dran, aber man lehnt das Neue ab und verteidigt sein eigenes Modell. Und dann kommt die Lernphase und Gott sei Dank haben wir die recht früh erreicht. Seit einigen Jahren investieren wir richtig aggressiv in digitale Geschäfte, weil wir uns sicher fühlen. Zehn Jahre vorher haben wir zu Recht wenig gemacht, das hat uns viel Geld gespart. Ich kann mich erinnern, was ich am WEF in Davos Ende der 90er alles gehört habe. Wenn wir das gemacht hätten, gäbe es uns schon lange nicht mehr.

Gab es trotzdem Fehler?

Selbstverständlich, das gehört dazu. Bei der Beurteilung von Gratisjournalismus haben wir uns total getäuscht. Ich muss aber immer sagen: Das ist ehrenwert. Wir haben halt das klassische Modell des recherchierenden Journalismus verteidigt. Das war zwar wirtschaftlich ein Fehler, ich kann es mir aber moralisch eigentlich nicht vorwerfen, weil ich nach wie vor davon überzeugt bin, dass es das richtige Modell ist.

Viele Medienunternehmen haben in den vergangenen Jahren kaum noch in Journalismus investiert, sondern bestenfalls in angrenzende Bereiche. Das gilt auch für Ringier.

In der Lernphase sind wir zu der Erkenntnis gekommen, dass wir zwar in den Journalismus investieren müssen, dass diese Investitionen aber eher anstrengend als finanziell interessant sind. Und daher haben wir geschaut, wo es nachhaltige Modelle gibt, mit denen wir Geld verdienen können.

Tut Ihnen das als gelernter Journalist nicht weh? Natürlich ist das längerfristig ein Problem.

Wenn sich das nicht ändert, leidet der Journalismus. Und das ist ja nicht nur schlecht für mich und für Sie, sondern auch für die Gesellschaft. Ich bin aber voller Hoffnung, dass Journalismus auch künftig wirtschaftlich funktionieren wird.

Woher nehmen Sie die Hoffnung? Ich bin grundsätzlich ein Optimist. Für mich ist das Glas immer halbvoll und nicht halbleer.

Ausserdem muss man auch sehen, dass es journalistische Modelle gibt, die sehr gut funktionieren: das Zeitschriftengeschäft beispielsweise. Das Zeitungsgeschäft ist schwieriger geworden, aber wir verdienen immer noch Geld damit. Es ist ja nicht so, dass das alles dramatisch zusammenbricht. Und was anderes macht mir auch Hoffnung: Je länger wir mit dem Digitalen leben, desto mehr erkennen wir auch dessen Unzulänglichkeiten und grosse Nachteile. Und die Frage lautet: Was hat das für Auswirkungen?

Glauben Sie an ein Comeback der klassischen Medien?

Das braucht es gar nicht. Wenn Sie sich die Reichweiten von Printtiteln anschauen, können sich die meisten Internetseiten die Finger danach lecken.

Aber was können die Medien gegen den langfristigen Trend machen? Das Geschäft geht ins Digitale. Dort zerbröseln die Werbeerlöse und die Nutzer zahlen ungern für Inhalte. Zugegeben, das ist die 1-Milliarde-Dollar- Frage.

Nein, das ist die 100-Milliarden-Dollar-Frage. Es gibt noch keine Antwort darauf. Es ist Learning by Doing. Aber wir haben immer noch das Privileg, dass wir diese Lernkurve in einem finanziell halbwegs ordentlichen Umfeld machen können.

Aber jedes Jahr sinken die Erlöse ein bisschen.

Aber es gibt auch Bereiche, in denen die Erlöse stabil sind. Auf der anderen Seite haben wir auch Firmen im Digitalen, die richtig gut verdienen.

Klar, aber das hat alles nichts mit Inhalten zu tun.

Okay, aber wenn das mit den Inhalten den Bach runtergeht, dann habe ich immer noch eine Firma. Da ist es mir dann hier wohler, als wenn ich 50 Meter weiter drüben sitzen würde. (zeigt Richtung NZZ-Hauptsitz an der Falkenstrasse)

Warum?

Weil da der Printanteil natürlich noch sehr gross ist.

Die NZZ-Gruppe setzt eben alles auf die Karte Qualitätsjournalismus.

Und ich drücke ihnen die Daumen, dass das gut geht.

Gehen wir konkret zu Entwicklungen in der Digitalwelt: Die Grenze zwischen Werbung und Redaktion verschwimmt. Native Ads heisst das Stichwort zu dem Trend, bei dem Werbung im Netz ein redaktioneller Anstrich verpasst wird. «Blick am Abend» experimentiert damit gerade.

Ach, das ist doch nicht neu, das Problem kennen wir. Auf die gute alte Publireportage mussten Sie halt Werbung drauf schreiben. Und wenn Sie das nicht gemacht haben, waren Sie nicht ehrlich. Die digitale Leserschaft ist da genauso empfindlich wie Printleser. Wenn die das Gefühl haben, man jubelt ihnen irgendwas unter, ist das schlecht. Der «Blick am Abend» sorgt da für eine ganz gute Trennung.

Gegenthese: Vielleicht ist das den Nutzern gar nicht so wichtig.

Ich glaube schon. Und es ist uns auch wichtig. Ich halt daran fest, dass wir diese Dinge sichtbar trennen.

Herr Ringier, wenn ich mir die «SI» oder andere People-Publikationen anschaue, dann ist der redaktionelle Teil voll von Konsumententipps. Wenn man das gratis macht, ist es dumm. Wenn man sich dafür bezahlen lässt, ist es Betrug. Solche Formate dürfte es eigentlich gar nicht geben.

Doch, am Schluss ist es ein Service für die Leser. Wenn ein neues Auto rauskommt, möchte ich das als Leser sehen. Und wenn eine Creme was Neues kann, muss ich das auch mitteilen. Egal, ob der Verlag jetzt dafür Geld bekommt oder nicht. Das Modell hat schon immer so funktioniert. Und wenn Sie so vorgehen, kann es ja auch sein, dass Sie ein Umfeld kreieren, bei dem auch mal eine Anzeige abfällt. Am Schluss geht es nur um eins: Was interessiert die Leser?

Springer setzt stark auf Bezahlinhalte, Ringier noch nicht. Warum?

Einer der Gründe in der Schweiz ist «20 Minuten». Die werden ihre Inhalte im Netz und auf Papier wohl immer gratis anbieten. Ausserdem dürfen Sie nicht vergessen, dass der Blick im Internet Gewinn macht, den ein Wechsel zu Bezahlinhalten gefährden würde. Das Wichtigste aber im Vergleich zu Springer ist der Grössenunterschied von Deutschland und der Schweiz. Springer treibt für die Bezahlinhalte einen riesigen Aufwand, um damit Hunderttausende von Digitalabos zu verkaufen. Unser Aufwand wäre fast genauso gross, aber die potentiellen Erlöse eben nur ein Zehntel.

Im deutschsprachigen Raum setzen viele Verlage jetzt auf Bezahlinhalte, auch in der Schweiz. Wie schätzen Sie die Frage grundsätzlich ein?

(seufzt) Das wird schwierig. Natürlich hoffe ich es im eigenen Interesse, aber mein Glaube ist – sagen wir mal – eher limitiert. Aber ich unterstütze alle Bemühungen intern und ich würde mir wünschen, dass das klappt, weil es ein ehrliches und faires Geschäftsmodell ist.

Das heisst: Gratis ist unfair?

Es ist jedenfalls für denjenigen problematisch, der herstellt. Es hat beim Fernsehen wahnsinnig gut funktioniert, im Printbereich nur für einige wenige. Und im Intemet ist es ähnlich.

Zu diesen Gewinnern mit hoher Reichweite könnten Portale wie Buzzfeed oder Heftig gehören. Was halten Sie davon?

Das gehört halt dazu. Ich war schon letztes Jahr bei Buzzfeed und ich gehe jetzt wieder hin. Wir gehen ja mit dem Blick am Abend auch in eine ähnliche Richtung. Solange es auch noch Blick, Newsnet und Spiegel gibt, ist das doch okay. Es hat immer Leute gegeben, die «Dallas» und «Denver» geschaut haben und keine «Tagesschau». Genauso wird es immer Leute geben, die im Internet Rankings und Unterhaltung wollen.

Viele Journalisten verstehen sich nicht als Unterhalter, sondern belehren ganz gern. Müssen wir uns daran gewöhnen, auch zu unterhalten? 

Ja, sicher. Diesen Vorwurf des «Journalismus von oben herab» gab es immer. Was haben wir vor Jahren mal nicht alles gehört von Bürgerjournalismus? Das ist die Zukunft, hiess es. Und wo bitte ist das heute? Das Bedürfnis, dass Journalisten recherchieren und analysieren, wird es immer geben, das hat mit Arroganz gar nichts zu tun. Was mich viel mehr stört, ist unterschwellige Bösartigkeit und Häme.

Warum?

Das verletzt mich in der Berufsehre. Häme ist für mich kein Journalismus und es hat langfristig hoffentlich auch keinen Markt.

Wenn Sie etwas ärgert, rufen Sie dann an?

Ja, klar. Oder ich schreibe, ich habe Journalisten auch schon beschimpft. Es muss dabei gar nicht um mich oder unser Haus gehen. Ich finde diese Häme genauso beschissen, wenn sie jemand anderen trifft.

Was machen Sie, wenn Ihnen was im eigenen Haus missfällt?

Was Sie von mir noch nie gehört haben, aber von vielen anderen Verlegern lautet: Das ist redaktionelle Freiheit, das ist Tabuzone. Ja, wo sind wir denn? Ich werde dafür bezahlt, dass ich mich einmische. Wenn Porsche ein Auto konstruiert, das Fehler hat, kann Herr Winterkorn auch nicht sagen: Entschuldigung, das waren die Techniker.

Aber Sie machen ja wohl keine täglichen Blattanalysen?

Nein, natürlich nicht. Aber wir reden viel über Journalismus hier im Haus. Nächste Woche habe ich ein Mittagessen mit Chefredaktoren und da sprechen wir nur über Inhalte. Und Sie müssen auch loben, Kritik ohne Lob funktioniert nicht.

Herr Ringier, haben Sie in Ihrem Leben jemals eine Homestory gemacht?

Nein, warum sollte ich? Um Gottes willen, dazu kenne ich doch die Gesetze der Branche viel zu gut.

Ist es nicht ein Widerspruch, dass Ihr Geschäftsmodell auf Dingen basiert, die Sie für sich selbst ablehnen?

Ich lehne das ja nicht grundsätzlich ab, ich möchte nur nicht Teil davon sein. Das ist ja meine freie Wahl.

Aber wenn das alle so handhaben würden, wären viele Seiten in Ihren Titeln frei.

Ja, aber Gott sei Dank gibt es ganz viele Leute, die das wunderbar finden. Es gibt sogar welche, die die Redaktionen anrufen und bitten, dass sie doch mal bitte einen Fotografen vorbeischicken. Ich hatte diesen Drang nie. Sie sehen mich ganz selten an Veranstaltungen, es gibt keine Homestorys, es gibt wenig Bilder. Ich gehe, wenn es irgendwie geht, auch nicht ins Fernsehen.

Sie waren vor drei Jahren aber mal bei Schawinski.

Ja und das hätte ich besser sein lassen. Ich war auch noch bei Giacobbo. Aber das ist was anderes, das macht Spass.

Sie haben bei Schawinski gesagt, dass Ihre Frau Ihnen leicht autistische Züge zuspricht. Sie wirken tatsächlich ein bisschen unnahbar bis scheu.

Ich bin gar nicht mal scheu, aber ich kann eigentlich wahnsinnig gut mit mir alleine sein. Ich bin auch gerne mit Menschen zusammen, aber ich brauche die Öffentlichkeit nicht. Für Boulevardmedien bin ich der Horror, furchtbar langweilig.

Das finde ich interessant: Sie sind das personifizierte Gegenteil Ihres Geschäftsmodells.

Aber muss ich denn als Chef von Philip Morris Raucher sein?

Sie sollten Rauchen jedenfalls dann nicht ablehnen.

Das tue ich ja auch nicht. Aber es ist doch meine persönliche Entscheidung, ob ich ständig bei «Glanz und Gloria« vor der Kamera stehen will oder nicht. Das hat mit meinem Geschäft nichts zu tun. Ich bin als Privatperson sehr diskret, obwohl meine Aufgabe als Verleger darin besteht, meine Leute anzustacheln, überall ihre Nase reinzuhalten. Das ist so. Ich bin aber einfach wahnsinnig gerne ein privater Mensch. Ich bin auch nicht auf Facebook. Nicht weil ich das irgendwie ablehne oder so, aber was bitte soll ich denn mit virtuellen Freunden?

Sie unterstreichen gerade Ihren Ruf als digitaler Skeptiker, der Ihnen auf den sozialen Netzen und in Blogs gerne vorgehalten wird.

Ich freue mich immer, wenn die auf mich draufhauen.

Warum geniessen Sie diese Rolle so?

Skeptisch zu sein, gehört zur Grundausstattung eines Journalisten und Unternehmers, gerade dann, wenn sich die Dinge in dem Masse ändern wie heute.

Fühlen Sie sich beim Tempo der digitalen Entwicklung noch auf der Höhe?

Total. Ich habe zwei iPads, ein iPhone, ein Blackberiy und ein MacBook. Und ich kann jedes Gerät bedienen und nutze alle intensiv. Ich habe immer die neueste Hardware, weil ich wissen will, was sich da entwickelt. Diese Verleger, die stolz darauf sind, dass sie kein iPhone bedienen können, sind kein Vorbild für mich.

Gut, aber dann müssten Sie ja auch Facebook, Twitter und Co. anschauen.

Das tue ich ja auch. Ich folge Leuten auf Twitter, nur bin ich selber nicht dabei.

Ich habe Sie aber nirgends gefunden.

Das sollen Sie ja auch nicht.

Sie sind anonym auf Twitter?

Ja und ich bin mit meinem Hund auf Facebook. (lacht) Ich habe sogar schon einige Freunde. Die wissen aber nicht, dass es in Wahrheit nur ein Hund ist.

Verraten Sie uns bitte den Namen. Ich verspreche Ihnen, Sie werden nach der Publikation viele neue Freunde haben.

Nein, das werde ich sicher nicht. Ich habe mich vor zwei Jahren einmal auf Twitter registriert, als der Hurrikan Sandy auf New York zukam und ich dort war. Da musste ich mich entscheiden, wann ich zurückfliege, und es gab auf Twitter die besten Informationen. Ohne einen einzigen Tweet abzusetzen, hatte ich innerhalb von kurzer Zeit zehn Follower. Was soll das?

Hat es gar keinen Reiz für Sie?

Manchmal gibt es schon Momente, in denen ich eine Kritik gerne zurechtrücken würde, aber ich lass das. Denn ich weiss genau, was passiert. Dann bin ich in der Falle. Will ich der Menschheit denn ständig mitteilen, was ich denke? Ich halte deshalb auch nur wenige Reden. Ich mache das nur, wenn ich das Gefühl habe, dass ich irgendwas zusagen habe.

Aber Sie kommentieren ja wohl auch nicht fleissig anonym?

Nein, nein, das würde ich nie machen. Entweder steht man mit seinem Namen zu seiner Meinung oder gar nicht. Und Entschuldigung, die Leute sollen doch über mich schreiben, was sie wollen. Solange es nicht absolut ehrverletzend ist oder wieder einer schreibt, dass ich Goldman Sachs treffe, um übermorgen meine Firma zu verkaufen.

Das war mal eine Geschichte in der Sonntagspresse.

Ja, der Sonntag hat eine Leaderstellung für Gerüchte und aufgeblasene Geschichten.

Herr Ringier, Sie haben auch so eine Sonntagszeitung im Angebot.

Ja, aber in der Beziehung sind wir vorbildlicher als die anderen. Von diesen Branchengerüchten finden Sie wenig bis nichts bei uns. Da haben wir uns absichtlich immer rausgehalten, obwohl wir ständig Bestandteil davon sind.

Wissen Sie, wie viele Artikel die Suchwörter «Michael Ringier« enthalten?

Keine Ahnung.

Fast 5.000.

Gott sei Dank lese ich das nicht alles.

Es ist nicht alles kritisch, manches ist sogar ganz schmeichelhaft.

Auch das brauche ich nicht so zwingend. Aber wenn meine Frau mich lobt, dann weiss ich, was das wert ist.