Handelsblatt

| 05.04.17 | Von Hans-Jürgen Jakobs

«Digitalisierung ist ein ständiger Lernprozess»

Er lernte Journalismus bei «Baby Schimmerlos» in München und macht heute Gewinne vor allem im Internet: Ein Gespräch mit dem grössten Schweizer Verleger über Religiöses im Silicon Valley, die Lust am Blick und den Frust in China.

Sechster Stock, ganz oben im Traditionsverlag. Im Gang hängen Bilder einer exquisiten Kunstsammlung, Rosemarie Trockel zum Beispiel. Der Hausherr ist Präsident des Vereins Kunsthalle Zürich, vor allem aber Eigentümer von Zeitungen, Zeitschriften und Internet-Marktplätzen. Im „Club“ gibt Michael Ringier beim Espresso Einblick in sein Geschäft und sein Gemüt.

Herr Ringier, als Sie vor mehr als 30 Jahren die Führung Ihres Verlags übernahmen, gab es das Internet noch nicht. Was macht einen „klassischen“ Verleger in digitalen Zeiten aus?

Man muss neugierig bleiben – und überall auf der Welt herumfahren und mit Spaß schauen, was da läuft. Das ist die größte Herausforderung für eine Firma, die einst für 200 Millionen

Franken Druckmaschinen gekauft und sie dann in den nächsten 25 Jahren abgeschrieben hat. Diesem Geschäftsmodell ist der Teppich weggezogen worden.

Und jetzt sind Sie sozusagen in der verlagsökonomischen Hochrisiko-Zone unterwegs?

Das Faszinierende an digitalen Geschäften ist, dass irgendwo wieder etwas Neues erfunden wird. Alert sein, ist da Pflicht. Sie müssen sich täglich fragen, von wem Sie bedroht werden. Und wo es Chancen gibt. Digitalisierung ist wie zeitgenössische Kunst ein ständiger Lernprozess. Man steht vor Dingen, die man nicht versteht. Man kann sich nur aufs Bauchgefühl verlassen, nicht auf einen McKinsey.

Der Anteil der digitalen Geschäfte bei Ringier steigt immens. Reicht das als Zukunftssicherung?

Das ist ein wichtiger Schritt. 2016 stammten bereits mehr als 38 Prozent der Umsätze aus dem Internet. Und, was noch wichtiger ist: 60 Prozent des operativen Gewinns kommen aus diesen Geschäften. Vor fünf Jahren waren wir bei null. Das digitale Kleinanzeigengeschäft der schweizerischen Scout24Gruppe ist dabei eine unserer glücklichsten Investitionen. Heute sind wir eine der Speerspitzen bei der Digitalisierung der Schweiz. Wir müssen Gas geben, nur haben das längst nicht alle gemerkt.

Bei der Scout-Gruppe war zwei Jahre lang die Private-Equity-Gruppe KKR der Partner, ehe die Schweizer Versicherungsgruppe Die Mobiliar mit 50 Prozent einstieg. Ist das ein Vorzeigemodell?

Warum nicht? Dank KKR konnten wir die operativen Gewinne extrem steigern – auf einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Das wird so nicht bleiben, daür ist die Konkurrenz zu groß. Deshalb brauchen wir einen Partner, um neue Geschäfte zu starten. Mobiliar versichert Autos und Immobilien, um diese Geschäfte geht es bei uns auch. Eine neue Tochterfirma für Immobilien- Kautionen macht zusätzliche Geschäfte mit Scout. Vielleicht verkaufen wir bald Hypotheken über diese Plattform.

Wenn das so erfolgreich ist, könnten Sie auch gleich die deutsche Scout-Gruppe übernehmen.

Da fehlt mir der tiefe Tresor. Wir haben 1,7 Milliarden Franken in den letzten sieben Jahren investiert, hauptsächlich in digitale Geschäfte.

Es fällt auf, dass Ringier genau wie der Münchener Burda-Verlag den Verkauf von Tier- und Hundefutter im Netz wieder abgestoßen hat. War hier das verlegerische Schamgefühl verletzt?

(Lacht) Das wäre mir völlig wurscht. Wenn Sie einmal Verleger der Boulevardzeitung „Blick“ waren, haben Sie keine Schamgrenze mehr. Nein, wir haben festgestellt, dass uns im ECommerce der Wettbewerbsvorteil fehlt, ausser in der Schweiz, wo „Dein Deal“ oder „My Store“ in ein ganzes System eingebettet sind. Aus den ausländischen ECommerce-Beteiligungen wie in Afrika ziehen wir uns langsam zurück. Wir konzentrieren uns im Netz auf Kleinanzeigen und journalistische Inhalte.

Wie hat sich die DNA der Ringier-Gruppe durch die Digitalisierung verändert? Ist Journalismus noch prägend für Ihr Haus?

Absolut. Noch immer arbeiten rund zweitausend Journalisten für dieses Unternehmen. Journalismus gehört im Kern zu unserem Geschäftsmodell, auch wenn die Dinge viel verwobener sind als früher. Früher gehörte uns alles zu hundert Prozent, heute haben wir 97 Tochterfirmen mit vielen Mitgesellschaftern, und ganz alleine gehört mir im Grunde genommen nur noch der „Blick“. Doch in diesem Holding-Netzwerk beruht alles darauf, dass wir ein publizistisches Haus sind.

Was meinen Sie damit konkret?

Schauen Sie auf unser Ticketgeschäft, das wir mit Eventim betreiben: Dafür brauchen wir auch den „Blick“. Die Zeitung ist extrem hilfreich dabei, Karten zu verkaufen. Weil sie über Sportereignisse und Shows berichtet, gibt es eine produktive Vernetzung. Journalismus und Geschäft sind dabei strikt voneinander getrennt. Wenn das anders wäre, wird das Letzte beschädigt, was uns geblieben ist: die Glaubwürdigkeit. Das ist das höchste Gut. Ich bin Wächter der Unabhängigkeit.

Sind die hundert Prozent an der „Blick“-Gruppe eigentlich unverkäuflich?

Ja, und das bleibt so. Die Leute wissen, dass wir darauf niemals verzichten wollen und können.

Vor einigen Wochen bot eine Investorengruppe 200 Millionen Franken. Das hat für viel Wirbel gesorgt, weil Ihr Verlag sich damit beschäftigt hat.

Ich habe gleich „Nein“ gesagt. Und die Offerte weggeworfen. Nicht einmal meinen beiden Schwestern habe ich davon erzählt, obwohl sie Mitaktionäre sind. Ich habe dann akzeptiert, dass unser CEO Marc Walder zumindest hineinhören wollte. Wir hatten am Schluss das Gefühl, dass rechts-konservative politische Kreise in der Schweiz gerne eine starke Zeitung hätten.

Der „Blick“ soll operativ Verluste machen.

Es ist nicht zu verhehlen, dass sich der „Blick“ seit einigen Jahren – wie die anderen Zeitungen auch – schwertut. Weit mehr als die Hälfte der Zeitungsanzeigen sind weg. Das Dramatische ist, dass sich der Rückgang beschleunigt. Die ersten Monate dieses Jahres waren noch schlechter als alles, was wir bisher gekannt haben. Wenn das so weitergeht, kann man sich ausrechnen, wie lange es noch gedruckte Zeitungen geben wird.

Das Geschäft verlagert sich nun mal ins Internet, wovon Sie auch profitieren.

Ja, aber im Journalismus kompensieren digitale Werbeerlöse bei weitem nicht die Verluste. 90 Prozent der Zuwächse an digitaler Werbung gehen zu Google und Facebook. Die Verleger leben von den Brosamen, die da übrig bleiben.

Sind Google und Facebook die neuen Monopolisten des Mediengeschäfts?

Die Vielfalt ist jedenfalls nicht mehr da. Leider werden zudem Zeitungen und Zeitschriften auf Facebook und anderen Kanälen immer mehr zu Distributionsmaschinen ihrer Inhalte. Die nehmen uns nicht nur die Werbung weg, sondern auch noch den Vertrieb. Wenn die irgendetwas am Algorithmus ändern, können wir sehen, wo wir bleiben.

Wenn die Zeiten so stürmisch sind – bleibt Ringier ein Familienunternehmen?

Solange es geht, ist das die beste Form für uns. Wir haben die schwierigste Phase in unseren 183 Jahren – die Digitalisierung – bisher gut überstanden.

Ihr Neffe Robin Lingg ist für Afrika und Asien zuständig. Wird er als Ihr Nachfolger aufgebaut?

Wir sind dabei, die Dinge zu ordnen. Die nächste Generation steht bereit und soll künftig im Aktionärskreis auftauchen. Auch meine beiden Töchter werden darauf vorbereitet. Das ist ein mehrjähriges Projekt. Wer welche Rolle hat, legen wir fest, wenn es so weit ist.

Haben Sie über Börsengänge nachgedacht?

Wir prüfen alle Optionen. Sicher ist: Ich habe keine Lust, mit 28-jährigen Analysten, die Hosenträger und Hermès- Krawatten tragen, über die Zukunft meines Unternehmens zu diskutieren. Auch in der nächsten Generation ist keine Neigung dazu vorhanden. Wir haben die Finanzierungen alleine stemmen können.

Bedauern Sie die Fehlschläge in Deutschland, wo Sie mit „Cicero“ und Monopol“ einen zweiten Anlauf wagten – und sich 2016 wieder zurückzogen?

Über die Geschichte der Ringier-Investitionen in Deutschland werde ich nie ein Buch schreiben, auch wenn es ein dünnes wäre. Wir bekamen es einfach kostenmäßig nicht hin. Wir schauen hier im Verlag wirklich auf jeden Franken. Es geht nicht anders. Und wenn dann der unterschwellige Vorwurf auftauchen könnte, hier pflege der Verleger sein Hobby – obwohl das nie der Fall gewesen ist – dann wäre das sehr negativ. Die beiden Magazine können sich unter der neuen Verlegerschaft wahrscheinlich besser entwickeln.

Bescheiden laufen auch die Geschäfte in China.

Es gibt ein Sprachenproblem, und man bekommt, anders als in den USA, nur schwer Zugang. Und das Mediengeschäft ist politisch.

Immerhin sind Sie schon vor 20 Jahren nach China gegangen. Üblicherweise gibt es Pioniergewinne für ein solches Vorgehen.

Ehrlicherweise sind wir auf dem Rückzug. China ist frustrierend. Wir sind dort als Ausländer im falschen Geschäft. Die Größenordnung ist gigantisch, als Mittelständler der Medienindustrie fehlt uns die Power. In China laufen Sie hohes Risiko. Ich bin relativ stur und habe mich lange gegen diese Einsicht gesträubt. Irgendwann erkennt man: Die lassen einen einfach nicht. Wir starten nun in Myanmar. Vor allem hat Ringier in Afrika große Chancen. Noch ist der Umsatz gering, aber er kann gewaltig wachsen. Wir sind bei digitalen Kleinanzeigen einer der größten Player. In Ländern wie Kenia, Ghana oder Nigeria lässt sich einiges aufbauen.

Herr Ringier, haben Sie bei Ihren vielen Reisen in die Welt im Silicon Valley jemanden kennen gelernt, der Ihnen imponiert?

Wenn ich ganz ehrlich bin, ist mir das alles ein bisschen ungeheuer. Die haben alle so eine Mission, das geht fast ins Religiöse. Zu essen gibt es Veganes, und draußen hängt der Tesla an der Batterie. Wenn die doch einfach nur sagen würden: Wir wollen einen Haufen Kohle machen! Das würde mir besser gefallen. Am Schluss wollen sie genau das.

Google, Facebook & Co. scheinen auf Sie nicht viel Eindruck gemacht zu haben.

Wenn Sie zu diesen Firmen gehen, wissen Sie gerade nicht, wo Sie sind. Die sind alle austauschbar. Überall gibt es Fressecken, Spielecken, Ruheecken. Alle machen das Gleiche. Ich mag es individuell.

Dennoch sind diese Firmen die neuen Herren der öffentlichen Konversation.

Früher gab es nur Medienmarken. Man konnte Leserbriefe schreiben, die nicht veröffentlicht wurden. Heute kann jeder über jeden alles sagen und es global verteilen.

Was ja umgekehrt die Nachfrage nach seriöser Information steigen lässt – gut für Ihr Geschäft.

Sorgfältiges journalistisches Arbeiten ist gefragt wie noch nie. Dummerweise wird es nicht bezahlt wie noch nie. Jeder Mensch bekommt gratis so viele Informationen, dass das Verkaufen außerhalb der englischen Sprache extrem limitiert ist. Möglicherweise müssen wir in Zukunft anfangen, Journalismus querzufinanzieren, mit Erlösen aus Veranstaltungen, Tickets und so weiter. Wenn wir ehrlich sind, war das mit der Querfinanzierung immer schon so. Den Redakteursjob bei Zeitungen haben früher auch Kleinanzeigen finanziert.

Ich war inkognito bei Facebook, angemeldet unter dem Namen meines Hundes. Ich wollte sehen, was da abgeht. Viel habe ich nicht entdeckt. Michael Ringier

Sie selbst haben als Journalist gearbeitet. Würden Sie diesen Beruf jungen Leuten heute empfehlen?

Ja, das würde ich, auch wenn diese Tätigkeiten nicht mehr so gut bezahlt werden wie früher. Ich hatte einen berühmten Mentor, Michael Graeter…

…den Klatschreporter der „Münchener Abendzeitung“, das Vorbild für „Baby Schimmerlos“. Der war damals Ressortleiter im Lokalen. Graeter brachte mir Recherche und journalistisches Schreiben bei. Das Handwerk macht einen Großteil des Berufs aus, keinem ist das genetisch mitgegeben.

Wenn Sie schon Journalist wurden, warum schreiben Sie dann nicht in Ihren Blättern?

Mir fehlt das Sendungsbewusstsein. Ich brauche die publizistische Sonnenterrasse nicht. Ich bleibe lieber der Verleger im Hintergrund, der mit den Schreibenden über Themen diskutiert.

Sie äußern sich noch nicht einmal im Internet, obwohl Ihr Haus zum digitalen Verlag wird. Ich bin ununterbrochen bei Blackberry , iPhone, iPad und am Computer aktiv. Was glauben Sie, wer alles schreiben würde, wenn ich einen Facebook-Account hätte? Ich vernachlässige schon meine echten Freunde, was soll ich dann mit diesen falschen Freunden noch machen? Manchmal juckt es einen ja schon zu twittern. Und ich sage mir dann: Öffne bloß die Büchse der Pandora nicht! Wer damit anfängt, muss das bewirtschaften und täglich neue Tweets absetzen. Dass unsere Journalisten das machen, ist etwas anderes.

Halten Sie diese Abstinenz durch?

Sicher. Ich war inkognito bei Facebook, angemeldet unter dem Namen meines Hundes. Ich wollte sehen, was da abgeht. Viel habe ich nicht entdeckt.

Herr Ringier, vielen Dank für das Interview.