«Es ist falsch, Lehrer schlecht zu bezahlen. Und es ist ganz falsch, Journalisten schlecht zu bezahlen.» Michael Ringier, VR-Präsident Ringier AG
Michael Ringier ist gleich zweifach der grösste Verleger: Er ist 1,98 Meter gross. Und er führt das grösste Verlagshaus der Schweiz (6500 Mitarbeitende in 14 Ländern, rund 120 Zeitungen und Zeitschriften, 80 eigenständige Web-Portale). Zum Interview empfängt er im «Club» des Ringier-Pressehauses im Zürcher Seefeld – so heisst die edle Chefetage im 6. Stock.
Herr Ringier, Sie waren in jungen Jahren die Nummer zehn im Schweizer Tennis. Kennen Sie Roger Federer persönlich?
Michael Ringier: Nur vom Grüezi-Sagen und dem einen oder anderen Telefongespräch. Aber nicht vom Tennisspielen, das wäre sinnlos. Ich war schon mit Martina Hingis überfordert (lacht).
Wir fragen, weil Roger Federer im Spätherbst seiner Karriere steht. Sie sind 66 Jahre alt. Wo stehen Sie?
Mein Vater ist mit 97 gestorben. Ich habe mich deshalb immer als genetische Bedrohung für diese Firma bezeichnet. Aber das Schöne am Journalismus ist ja, dass man im Alter zulegen kann, sofern man noch neugierig ist. Das gilt auch für mich als Verleger. Ich werde deshalb sicher noch einige Jahre in dieser Funktion weitermachen.
An Ihrem 50. Geburtstag haben Sie gesagt, Sie könnten sich vorstellen, die Firma weitere zwanzig Jahre lang zu führen. Dieser Zeithorizont wäre in vier Jahren erreicht.
Die Altersgrenze von 70 steht nach wie vor. Wie wir das dann genau lösen, kann ich Ihnen heute noch nicht sagen. Das Engagement für Ringier wird aber nie aufhören.
Macht es Ihnen nach wie vor Spass, Verleger zu sein?
Es ist der schönste Beruf, den man sich vorstellen kann! Auch wenn es in letzter Zeit sehr anstrengend geworden ist. Ich stelle mir auch die Frage, ob ich überhaupt noch Verleger bin. Mit Qualipet zum Beispiel verkaufen wir Hundefutter. Aber auch das ist sehr spannend. Die Medienbranche ist nun einmal in einer Phase, in der alte Geschäftsmodelle infrage gestellt werden müssen. Dazu braucht es junge Leute mit dem entsprechenden Know-how. Aber es braucht auch Leute wie mich mit Erfahrung im alten Geschäftsbereich.
Haben Sie sich nie gefragt, was die Gründerväter des Medienhauses Ringier dazu sagen würden, dass dieses nun auch Hundefutter verkauft?
Sind wir ehrlich: Unsere Gründerväter führten 60 Jahre lang ein relativ gemütliches Leben mit einer kleinen Druckerei. Ich persönlich schaue nie zurück. Wichtig ist für mich einzig, dass es die Firma langfristig noch gibt. Dabei ist es auch zweitrangig, ob die Firma noch der Familie gehört.
Wirklich? Das ist doch das Ziel jedes Familienunternehmens.
Grundsätzlich schon. Aber wenn Ihr wichtigstes Ziel darin besteht, ein Familienunternehmen zu bleiben, ist das die falsche Strategie. Es gibt ja kaum eine Firma, die mehrere hundert Jahre in den Händen der gleichen Familie bleibt. Eine Firma muss sich immer wieder neu ausrichten. Dazu braucht es viel Geld für Investitionen. Und dieses Geld ist nicht immer vorhanden. Genau aus diesem Grund haben wir mit dem deutschen Medienkonzern Axel Springer oder der Privat-Equity-Gesellschaft KKR Joint Ventures aufgebaut. Das zeigt unseren Willen, ein Familienunternehmen zu bleiben. Es zeigt aber auch, dass dieser Wunsch manchmal an Grenzen stösst.
Das klingt fast so, als ob Sie davon ausgehen, dass Ringier langfristig kein Familienunternehmen mehr sein wird.
Ich weiss es einfach nicht. Schon vor sechs, sieben Jahren haben wir uns gesagt: Entweder wir verkaufen das Unternehmen jetzt, wo es noch sehr wertvoll ist. Oder wir treiben die digitale Transformation mit aller Kraft und mit viel Geld voran. Wir haben uns für Letzteres entschieden. Das ist doch der grösste Beweis dafür, dass wir ein Familienunternehmen bleiben wollen. Es weiss aber auf der ganzen Welt niemand, wie der Markt für Zeitungen und Zeitschriften in 10 bis 15 Jahren aussieht.
Wie wichtig sind Ihnen denn Ihre Zeitungen und Zeitschriften? Können Sie sich auch vorstellen, eines Tages nur noch mit Anibis, DeinDeal, Geschenkidee, Qualipet und Scout 24 Ihr Geld zu verdienen?
Unsere DNA ist nach wie vor der Journalismus. Das ist bei mir so. Und das ist auch bei der nächsten Generation so. Mein Neffe Robin Lingg war zwar nur bei einer Schülerzeitung Journalist. Aber er hat in Asien und Afrika journalistische Onlineportale aufgebaut. Auch ihm liegt der Journalismus am Herzen.
Was fasziniert Sie denn so am Journalismus? Ist es der Einfluss, die Macht?
Überhaupt nicht. Es ist die Freude. Journalismus ist das spannendste Metier der Welt.
Aber als Verleger haben Sie viel grösseren Einfluss auf das öffentliche Leben als sonst ein Unternehmer.
Das stimmt. Als Verleger wird man überall vorgelassen. Wenn ich irgendeinen Präsidenten anrufe, bekomme ich einen Termin. Wenn das einer macht, der ein zehnmal grösseres Unternehmen hat, das Schraubenzieher produziert, kommt er nicht übers Sekretariat hinaus. Das ist spannend, denn ich liebe Politik. Politik ist die Grundlage einer Gesellschaft. Und als Verleger habe ich die interessanteste Position in dieser Gesellschaft: Ich bin mittendrin, aber trotzdem Aussenstehender.
Also haben Sie Einfluss, aber keine Verantwortung?
Ganz im Gegenteil, ich habe eine riesige Verantwortung. Ich verantworte, was Journalisten wie Sie schreiben. Medienunternehmen haben eine grosse Wirkung nach aussen. Der Badener Stadtammann Geri Müller kann Ihnen ein Liedchen davon singen.
Wie prägt Ihre politische Einstellung die Ringier-Medien?
Wichtig ist nicht meine politische, sondern meine journalistische Linie. Ich habe immer für guten Journalismus gekämpft und mich weniger darum gekümmert, ob der «Blick» nun etwas mehr rechts oder mehr links steht.
Viele sagen, der «Blick» könnte kommerziell erfolgreicher sein, wenn er einen nationalkonservativen Kurs à la SVP fahren würde.
Die These bezweifle ich stark. Und vor allem wäre das nicht mehr journalistisch. Ist die «Weltwoche» noch Journalismus? Die ersten zwanzig Seiten gehen ja schon eher in Richtung Sektenblatt. Für mich gehört zum Journalismus Offenheit und Neugier. Wenn man den Artikel schon geschrieben hat, bevor man angefangen hat, zu recherchieren, hat das doch nichts mehr mit Journalismus zu tun.
Ringier ist in 14 Ländern präsent. Werden Sie oft von Politikern oder Wirtschaftsführern kontaktiert, die Sie beeinflussen wollen?
Früher war das häufiger der Fall. Der Dialog findet eher auf Stufe Redaktion statt. Ich finde das auch legitim und richtig. Ich habe auch schon Journalisten, die etwas völlig Falsches über Ringier geschrieben hatten, angerufen und beschimpft. Ich habe aber auch schon Leute angerufen und ihnen zu ihren Artikeln gratuliert.
Vielleicht werden Sie heute weniger angerufen, weil der «Blick» an Gewicht verloren hat.
Der «Blick» ist nach wie vor die mit Abstand wichtigste politische Stimme im Land und hat mit dem neuen Chefredaktor René Lüchinger wieder an Format gewonnen. Nehmen Sie den Fall Carlos: Dieser kam im Fernsehen und überall. Aber erst, als der «Blick» das Thema aufgriff, wurde es wirklich breit diskutiert. Und der Badener Stadtammann wäre viel früher ein Thema geworden, wenn der «Blick» die Story gebracht hätte.
Bedauern Sie es, dass nicht der «Blick» diese Geschichte zuerst brachte?
Zu dem Zeitpunkt, als unser Chefredaktor die Story hatte, war es richtig, sie nicht zu bringen. Aber das sind immer schwierige Fragen. Natürlich will jeder den Primeur haben. Gerade in den Sonntagszeitungen werden viele Geschichten aufgebauscht und als Primeur verkauft. Am Montag ist die Luft dann aber meist schon wieder draussen. Das schadet dem Journalismus. Denn die Leser merken das.
Ist der Journalismus in der Schweiz schlechter geworden?
Der Journalismus ist nicht schlechter geworden. Wegen der Digitalisierung sind die Leute aber heute viel besser informiert als früher. Printzeitungen wie der «Blick» sind deshalb viel stärker auf exklusive Geschichten angewiesen, um ihren Lesern einen Mehrwert zu bieten. Die Arbeit für die Journalisten ist viel anspruchsvoller geworden.
Sie haben Journalist gelernt. Wenn Sie heute 20 wären, würden Sie wieder Journalist lernen?
Wahrscheinlich schon. Aber man muss sich das heute in der Tat gut überlegen. Die Bedingungen sind viel unfreundlicher geworden. Ein durchschnittlicher Journalist hatte vor 20 Jahren ein schöneres Leben als heute. Und auch die Bezahlung ist schlechter geworden. Gerade beim Lohn müssen wir aufpassen: Es ist falsch, Lehrer schlecht zu bezahlen. Und es ist ganz falsch, Journalisten schlecht zu bezahlen. Denn Journalisten haben eine extrem wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe.
Bitte, Sie haben es in der Hand: Sie könnten hier und jetzt eine Lohnerhöhung für alle Ihre Journalisten ankündigen.
Das geht leider nicht. Der Druck auf die Löhne ist in der ganzen Branche enorm. Aber wir haben in den Redaktionen in den letzten Jahren praktisch nie Budgets gekürzt. Das wäre der falsche Weg. Denn die Redaktionen sind der Kern unseres Geschäfts.
Ringier verfolgt eine ähnliche Strategie wie Tamedia: Beide kaufen digitale Anzeigenportale. Andere Medienhäuser wie die NZZ oder die AZ Medien, die diese Zeitung herausgeben, setzen praktisch ausschliesslich auf publizistische Inhalte. Was halten Sie von deren Strategie?
Mir wäre unwohl dabei. Fairerweise muss man aber sagen, dass gerade regionale Verlage gar nicht die Mittel haben, um mit der Übernahme bedeutender Onlineportale die Rückgänge im klassischen Anzeigengeschäft zu kompensieren.
Sollte der Staat den Verlagen unter die Arme greifen, um die «vierte Gewalt» am Leben zu erhalten?
Subventionierte Medien sind auf Dauer keine Lösung – wir sind kein Opernhaus. Wenn es so weit kommt, dann soll das wirklich die nächste Generation machen.
Für das Funktionieren einer Demokratie ist qualitativ hochstehender Journalismus wichtiger als ein Opernhaus.
Ich glaube daran, dass sich der Journalismus auch in Zukunft selber finanzieren kann. Denn der Bedarf an gutem Journalismus ist ungebrochen. Die Leute wollen informiert werden. Auch Unterhaltungsportale wie Buzzfeed bringen nicht nur Katzenvideos, sondern auch ernsthafte Inhalte.
Wären Sie bereit, mit den Erlösen Ihrer Online-Anzeigeportale längerfristig den Journalismus quer zu subventionieren?
Daran will ich im Moment gar nicht denken. Aber es wäre nichts Neues: Früher waren die Stelleninserate Teil der Zeitung, heute sind sie auf jobs.ch. Es ist aber immer noch die gleiche Stellenanzeige. Deshalb kann ich mir eine solche Quersubventionierung durchaus vorstellen. Das Ziel jedoch ist, dass sich der Journalismus über die eigenen Fähigkeiten finanzieren kann.
Der Vergleich mit früher hinkt: Zeitungen und die Inserate waren untrennbar miteinander verknüpft. Wenn Sie aber in Zukunft Zeitungen und Onlineportale mit jobs.ch quersubventionieren würden, wären Sie Wohltäter.
Das ist so. Aber ich will mir jetzt nicht den Kopf darüber zerbrechen, was wäre wenn. Denn im Moment verdienen die Zeitungen zum Glück noch Geld. Ich konzentriere mich deshalb lieber darauf, dass das so bleibt, beziehungsweise, dass auch die Onlineportale Gewinn abwerfen. Hinzu kommt, dass niemand weiss, wie das Internet in Zukunft aussehen wird.
Worauf wollen Sie hinaus?
Das Internet kreiert immer grössere Besorgnis und Probleme. Heute werden wir digital verfolgt, manipuliert und ausspioniert. Weshalb sonst erscheint immer genau dann Golf-Werbung, wenn ich auf eine Internetseite gehe? Das Internet ist ein völlig unregulierter Markt, in dem einige grosse Konzerne riesige Gewinne erwirtschaften. Zudem ist die Kriminalität im Internet gewaltig. Diktatorische Regimes missbrauchen es. Und es ist auch ein Querulanten-Medium. Wenn wir das alles nicht in den Griff bekommen, werden das die Leute irgendwann nicht mehr einfach so hinnehmen.
Vielleicht stört es die jüngere Generation gar nicht, dass sie im Internet ihre Privatsphäre aufgibt.
Ich hoffe nicht, dass es so weit kommen wird. Jeder, der einmal selbst davon betroffen war, sieht das sicher anders. Geschweige denn, wenn irgendwann das erste Skyguide-System ausfällt, weil jemand das Internet manipuliert hat. Der Internet-Super-GAU wird kommen. Und dann wird sich die öffentliche Meinung gegenüber dem Internet verändern. Ich bin in einer Generation aufgewachsen, in der Atomenergie noch das Manna vom Himmel war – umweltfreundlich, billig, einfach. Heute hat die Stimmung total gekehrt. Dem Internet kann das Gleiche passieren.
Das klingt ja fast wie bei Christoph Blocher, der das Internet als vorübergehendes Phänomen betrachtet.
Ich würde jetzt mal behaupten, es gibt zwischen Christoph Blocher und mir einen grösseren Unterschied in der Benutzerintensität des Internets. Und verstehen Sie mich richtig: Das Internet bleibt eine Tatsache, die nie einfach wieder verschwinden wird. Ich sage nur, dass das Internet geregelt werden muss – und zwar von der Gesellschaft. Ich will von einem Rechtssystem regiert werden und nicht von einem Algorithmus.
Wie stellen Sie sich das vor? Kann die Schweiz alleine überhaupt etwas tun?
Nein, natürlich nicht. Da gibt es die grossen Blöcke. Und ich bin froh, dass wir in Europa sind. Denn das europäische Verständnis von Datenschutz ist ein anderes als jenes der Amerikaner. Obama sagt: Wir haben das Internet erfunden, also gehört es uns. Da geht es um Macht. Die Europäer sind deshalb gefordert. Sie müssen technologisch Boden gutmachen und ihre eigenen Standards durchsetzen. Und die Schweiz muss selbstverständlich Teil der europäischen Standards werden.
An was für Standards denken Sie?
Es geht vor allem um die Verfügbarkeit der Daten, die ich im Netz hinterlasse. Wer darf worauf zugreifen. Wenn an einem Briefkasten ein Aufkleber angebracht ist «Bitte keine Werbung», dann wird das respektiert. Im Internet: No way. Das kann es doch nicht sein.
Sehen Sie Google als Bedrohung für Ihr Geschäftsmodell?
Die noch grössere Bedrohung ist Facebook. Wenn diese Giganten anfangen, im grossen Stil eigene Inhalte zu produzieren, dann wird es ungemütlich für uns. Denn sie haben ein riesiges Publikum. Facebook sagt den Medienkonzernen: Ihr braucht doch gar keine eigenen Websites. Schickt uns doch einfach eure Inhalte. Wir geben sie dann dem Publikum weiter. Doch das ist sehr gefährlich. Denn wenn wir keine eigenen Portale mehr haben und alles über Facebook verbreiten, dann begeben wir uns in eine extreme Abhängigkeit.
Kommen Sie mit Google, Facebook und Co. in Kontakt, um über solche Themen zu sprechen?
Wir können schon mit denen reden, aber die sind auf dem hohen Ross. Lösungen zu finden, ist sehr schwierig. Es ist ein Machtkampf. Google alleine gibt in Brüssel grosse Summen aus fürs Lobbying. Zum Glück haben die verantwortlichen Kommissare eine durchaus konservative Sicht auf diese Dinge. Das ist in unserem Interesse.
Apropos EU: Sind Sie eigentlich nach wie vor für einen EU-Beitritt der Schweiz?
Ich war nie einfach so für einen EU-Beitritt der Schweiz. Mir ist es aber ein Anliegen, dass man alle Optionen diskutiert.
Sie haben 2001 die Initiative «Ja zu Europa» unterstützt.
Das stimmt, dazu stehe ich auch. Ich habe aber auch immer gesagt: EU ja, Euro nein. Heute wiederum muss man sagen, dass es der Schweizer Exportindustrie wohl so gut gehen würde wie nie zuvor, wenn wir den Euro hätten. Auch wenn klar ist, dass das auch negative Konsequenzen hätte.
Sie fordern eine Diskussion ohne Scheuklappen.
Genau. Es kann nicht sein, dass sich die anderen Parteien von der SVP die Diskussionsagenda diktieren lassen. Es ist ein Witz, dass sich heute niemand mehr zu sagen getraut, dass er sich einen EU-Beitritt vorstellen kann. Dabei müsste man die Debatte völlig unideologisch führen – mit einer Checkliste, welche die Vor- und Nachteile auflistet. Und sollten die Vorteile eines Tages überwiegen, dann darf ein EU-Beitritt kein Tabu sein.
Christoph Blocher hat viel zu dieser Tabuisierung beigetragen. Werden Sie trotzdem traurig sein, wenn er eines Tages von der Politbühne abtritt? Schliesslich liefert er Ihren Blättern gute Schlagzeilen.
Für die Auflage des «Blicks» brauchen wir Christoph Blocher nicht. Es gibt genügend andere, die Schlagzeilen machen. Die Fixierung des Journalismus auf Blocher ist ohnehin lächerlich.